Wo der Funke überspringt

Mythos Atelier: Eine Ausstellung begibt sich auf Spurensuche

No. 04/2012

Von Spitzweg bis Picasso, von Giacometti bis Naumann – der Mythos Atelier lebt. In der Staatsgalerie Stuttgart kann man noch bis zum 10. Februar rekonstruierte Ateliers der großen Meister besuchen und sehen, wie sie den Ort ihres Schaffens in Bildern festhielten.

Staubige Arbeitsatmosphäre, sich räkelnde, leichtbekleidete Modelle, Farbspritzer, ein halbfertiges Gemälde auf der Staffelei, Zigarettenrauch in der Luft – die Vorstellung von einem Künstleratelier beflügelt unsere Fantasie. Bis heute ist es ein Sehnsuchtsort, eine antibürgerliche, geheimnisumwitterte Gegenwelt, die durch Verklärung zum Mythos wurde. Wer ein Atelier besucht, dem eröffnet sich die einmalige Gelegenheit, Einblick in einen künstlerischen Entstehungsprozess zu erhalten, mit der Hoffnung verbunden, etwas mehr von dem Kunstwerk und seinem Meister zu verstehen. Aber ob ärmliche Künstlerklause, Chaos aus Farbtiegeln und Pinseln oder repräsentativer Raum der Selbstinszenierung, das Atelier ist vor allem ein Ort der Arbeit, ein Reflexions- und Zufluchtsraum, in dem etwas Außergewöhnliches und oft Rätselhaftes entsteht: Kunst.

Seit der Renaissance bilden Künstler ihre Arbeitsräume in ihren Werken ab und machen sie damit zu einem eigenständigen Kunstthema. Dabei geht es nicht unbedingt um eine authentische Darstellung. Die Atelierbilder sind eine Art „visuelles Programm, ein indirektes Selbstporträt“, wie die Kuratorin der Stuttgarter Ausstellung Mythos Atelier, Ina Conzen, erklärt. Viele Künstler, wie Georges Braques, haben Atelierbilder in Phasen des Umbruchs oder einer persönlichen Krise gemalt. Damit bringen sie nicht nur zum Ausdruck, wie sie sich selbst und ihre Kunst beurteilen, sondern wollen auch steuern, was andere über sie und ihr Werk denken sollen. So ließ Picasso Mitte der 1920er Jahre sein Atelier mehrmals fotografieren und bestückte es jedes Mal mit ganz unterschiedlichen Arbeiten. Er inszenierte sich und seine Kunst vor der Kamera und dokumentierte seine enorme Vielseitigkeit und Entwicklung.

Neben den Atelierbildern widmet sich die Ausstellung ebenso begehbaren, rekonstruierten Künstlerateliers, so auch Piet Mondrians spartanisch eingerichteter Künstlerwerkstatt oder Alberto Giacomettis Pariser Atelier mit Original- Wandfragmenten, auf die er Vorstudien seiner Porträts und Plastiken gezeichnet hatte. Als Beispiele für Ateliers, die von den Künstlern explizit für die öffentliche Präsentation geschaffen und damit von der Kunstwerkstätte zum Kunstwerk wurden, zeigt die Ausstellung Daniel Spoerris Rekonstruktion seines Pariser Hotelzimmers, das er in den frühen 1960er Jahren als Atelier nutzte, und die Installation von Joseph Beuys aus den Überresten des „ Büros für direkte Demokratie durch Volksabstimmung“. cs

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Mythos Atelier
Staatsgalerie Stuttgart bis 10. Februar 2013 
Hg. Staatsgalerie Stuttgart, Ina Conzen
Katalogbuch zur Ausstellung Hirmer Verlag € 45,–