Bauen im Nationalsozialismus

Macht, Raum und Gewalt

No. 02/2023

Das nationalsozialistische Regime unterhielt kein Ministerium, in dem die Zuständigkeiten für Planen und Bauen gebündelt worden wären. Diese Erkenntnis vermittelt das großangelegte Forschungsprojekt der siebenköpfigen Unabhängigen Historikerkommission, die im Auftrag der Bundesregierung die vergangenen fünf Jahre mit einem breit gefächerten Team von Wissenschaftler*innen nicht nur die Planungs- und Bautätigkeiten während des „Dritten Reiches“ unter den verschiedensten Aspekten untersuchten, sondern auch den Umgang mit jenem epochalen Erbe im später geteilten Deutschland.

Es war ein ausgefeiltes Netzwerk von Institutionen und Personen, die sämtliche Bauprojekte bzw. deren Planung während der Machthabe der Nationalsozialisten steuerten: standardisierte Siedlungshäuschen nach den Gesetzen der „Blut- und Boden“-Ideologie, Straßen- und Autobahnbau unter Ausbeutung von Zwangsarbeitern durch die „Organisation Todt“, Neugestaltungsstädte und Schulungsstätten, Bauten der Machtrepräsentation und militärische Anlagen bis hin zu Vernichtungslagern als komplexe logistische Herausforderungen, die einer Vielzahl an Koordinatoren bedurften. Dieses Bild zeichnen 28 Forscher*innen, die ihre Ergebnisse in einer vierbändigen Publikation niederlegten und diese am 17. April der Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, Klara Geywitz, im Beisein der Öffentlichkeit übergaben. Der Ort der Veranstaltung war historisch relevant: vis-à-vis des Brandenburger Tores in der Akademie der Künste am Pariser Platz, die zum gleichen Thema die Ausstellung Macht Raum Gewalt eröffnete, die bis 16. Juli läuft.

Die Fachleute lenken in ihren wissenschaftlichen Beiträgen den Blick nicht nur auf die Zeit von 1933 bis 1945 im Deutschen Reich, sondern ziehen auch in den von Deutschland besetzten Gebieten im Osten Europas Bilanz und stellen Querbezüge zu anderen Staaten her. Ihre akribische Arbeit, bei der sie europaweit umfassende Akteneinsichten in Archive nahmen, förderte komplexe Machtstrukturen zutage, in die Institutionen, Wirtschaft, Kollektive wie auch Einzelpersonen verstrickt waren. Mit mehr oder weniger aktiven Rollen bewirkten sie tiefe bis verstörende Einschnitte in den persönlichen und öffentlichen Raum und erarbeiteten perfide Systeme, um Menschenleben auszulöschen. Die ideologische Indoktrination nach einem Belohnungssystem, das Gewalt evozierte, das effiziente, temporeiche und optimierte Vorgehen bei der Annexion von Gebieten sowie die Auffassung vom Menschen als Rohstoff, der sich generalstabsmäßig umsiedeln lässt, bis hin zu gigantomanischen Bauprojekten sind Beispiele, die von einer zweckrationalen Planung und einem „radikalen Ordnungsdenken“ zeugen. Zahlreiche Abbildungen, Fotografien, Modelle, Pläne und andere Zeitdokumente, machen sie nachvollziehbar und beleuchten das dunkle Kapitel in der deutschen Geschichte. af

Planen und Bauen im Nationalsozialismus
Voraussetzungen, Institutionen, Wirkunden
Hrsg. von Die Unabhängige Historikerkommission
4 Bände im Leinenschuber, insg. 1304 Seiten, 1024 Pläne,
Karten, Fotografien und Abbildungen

Hirmer Verlag € 270,–