Nürnberg stellt seine Kunst-Kopfe aus

Lockvogel Albrecht leistet ganze Arbeit

No. 02/2012

Von Andreas Radlmaier

Eine Kunststadt sei Nürnberg nicht, stellte der um Aufmüpfiges nie verlegene Präsident der Nürnberger Kunsthochschule vor kurzem in einem Interview klar. Und relativierte dann seine nüchterne Einschätzung mit dem Satz: „Aber sie hat das Talent dazu“. Zweifelsohne, wenn man sich die kontinuierlich wachsende Kunst-Szene ansieht. Seit ein paar Monaten wird konzentriert und kräftig am Selbstbewusstsein trainiert, werden Talentproben bis zum Jahresende gestapelt und Institutionen zum Schulterschluss animiert. Denn Nürnberg hat ein veritables „Jahr der Kunst“ ausgerufen.

Mittendrin besagter Präsident der Kunsthochschule. Der heißt Ottmar Hörl, ist auflagenstarker Schöpfer unterschiedlichster Kunststoff-Geschöpfe und in Nürnberg seit dem Jahr 2003 als „Hasen-Hörl“ bekannt, weil er auf dem Hauptmarkt Hunderte von grünen Plastik-Hasen nach Dürer-Vorlage zum „Großen Hasen-Stück“ montierte. Die von der Bevölkerung mit Begeisterung begleitete Freiluft-Ausstellung war ein frühes Beispiel für das Bemühen der Nürnberger Kulturreferentin Julia Lehner, einen global oder zumindest national funktionierenden Kurzschluss von Dürer zu seiner Heimatstadt herstellen.

Zum „Dürer-Hauptquartier“ ernannte prompt ein erheiterter Journalist daraufhin Lehners Referat. Was die Gedankenverbindung zu einer erheblich weniger verehrten, aber mit Nürnberg gleichfalls stark verbundenen historischen Figur des 20. Jahrhunderts herstellte. Das eindrucksvolle NS-Dokumentationszentrum, im backsteinernen Torso der Kongresshalle auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände untergebracht, bildet seit 2000 mit überzeugenden Ausstellungen einen markanten touristischen Anlaufpunkt. Tendenz steigend. Dürer, die zeitlos und weltweit strahlende Künstler-Figur aus Deutschland, und die Kunsthochschule, der Ottmar Hörl vorsteht, bilden in den aktuellen Nürnberger Planungen die stabilen Eckpfosten für das „Jahr der Kunst“, das logomäßig unter die stilisierte Lockenpracht des Meisters schlüpft. Denn die Hochschule, die heute ihr Domizil in einer wunderbaren Pavillon-Landschaft von Sep Ruf hat, wird 2012 350 Jahre alt und ist damit die älteste Kunstakademie im deutschsprachigen Raum.

Gleichzeitig legt das Germanische Nationalmuseum mit Der frühe Dürer in einer glänzend strukturierten Sonderausstellung überzeugende Forschungsergebnisse zum großen Kunst-Reformator der Renaissance vor. Die Schau holt bis 2. September die verklärte Lichtgestalt sanft vom Sockel und setzt mehr auf präzise Erklärungen als auf eine Highlight-Girlande. Was die „größte Dürer- Ausstellung seit 40 Jahren“ auch ohne Hase, Selbstbildnisse und Rasenstück zu einem Publikumsmagneten macht. Die weltweite Resonanz ist überragend, das Museum korrigiert im Wochenrhythmus seine Besucher-Prognosen nach oben. Lockvogel Albrecht leistet ganze Arbeit.

Gönner, Paten, Spekulanten

Albrecht Dürer, Hiob auf dem Misthaufen, linker Außenfl ügel des so genannten Jabach- Altars, um 1503/1505. Frankfurt am Main, Städel Museum, Nr. 890

Albrecht Dürer, Hiob auf dem Misthaufen, linker Außenfl ügel des so genannten Jabach-
Altars, um 1503/1505. Frankfurt am Main, Städel Museum, Nr. 890

Das Thema wird in den Sommermonaten noch verschiedentlich vertieft. Zum Beispiel durch eine Präsentation, die an Originalschauplätzen in der Altstadt eine neue Forschungs-Theorie erhärtet, dass es die Nachbarschaft war, die dem jungen Künstler, der als Azubi bei Michael Wolgemut noch gehänselt wurde, zum großen Karrieresprung verhalf. Dass also „Networking“ bestimmt keine Idee des 21. Jahrhunderts ist. Von Juli bis zum September weisen folglich übermannshohe, knallrote Dürer-Silhouetten auf Skulpturen-Inseln den Weg in die Burgstraße, vor 500 Jahren die erste Adresse einer regelrechten Boomtown.

Auf diesem Promihügel Richtung Kaiserburg lebten Gönner, Paten, Spekulanten – ein bahnbrechender Verleger- Typus wie Anton Koberger (zufällig der Patenonkel des jungen Albrecht), Kunstförderer wie Sebald Schreyer, aber auch Mitglieder der Familie Fugger, die später reichlich Kunst bei Dürers bestellte. Die angesehene Illustratorin Tina Berning, die in Nürnberg studierte und heute für Die Zeit, die New York Times, den Playboy, die Süddeutsche Zeitung und andere arbeitet, steuerte für die kostenlos zu besichtigende Freiluft-Schau Dürers Nachbarschaft zeitgemäße Illustrationen des exemplarisch festgemachten Netzwerkes bei, der Dresdner Figurentheatermacher und Regisseur Heiki Ikkola ein mechanisches Theater, das den Metropolen- Glanz der frühen Jahre mit trockenem Schaubuden-Spott kommentiert.

Im Humor landet auch die absurde Ausleih-Debatte um Dürers Selbstbildnis im Pelzrock aus der Münchner Pinakothek. Ein Franken-Bayern-Streit, der kürzlich für oberste Polit-Gefechte im Freistaat taugte. Im Dürer-Haus am Tiergärtnertorplatz, dem Fachwerk-Domizil des Künstlers unweit der Burgstraße, werden ab 27. Juli gleich drei „Pelzröcke“ zu sehen sein. Der neu geschaff ene Dürer-Saal reflektiert mit Nachschöpfungen die Verehrung für den Meister. Der Besucher ist dort umgeben von Kopien (etwa den Vier Aposteln) und so manchem Kunst-Krimi. Etwa dem um das Selbstbildnis im Pelzrock, von dem es eine Pariser und eine Münchner Kopie gibt. Ganz schlau werden die Fachleute aus den historischen Abläufen des 19. Jahrhunderts bis heute nicht. „Je mehr Antworten wir finden, desto mehr Fragen tauchen auf“, sagt Matthias Henkel, der Direktor der Städtischen Museen.

Das Historische Rathaus, direkt gegenüber der Sebalduskirche gelegen, gilt als erstes Dürer-Museum der Welt, weil dort zu Lebzeiten des Künstlers viele Arbeiten zu sehen waren. Für den Rathaus-Saal schuf er auch ein legendäres Spätwerk, das Fresko vom Triumphzug, das den neuen Kaiser gnädig stimmen sollte für die Wünsche der Reichsstadt. Im Bombenhagel des Zweiten Weltkrieges gingen auch diese Wandbemalungen unter. Im August werden Dürers Vorlagen erstmals mittels aufwändiger Technik an die Wand projiziert – eine „Zeitreise“, die die Besucher in die Vergangenheit führt. Eine parallel stattfindende RathausArt beamt gleichsam die Kunst-Atmosphäre von damals herbei. Nürnberger Galeristen zeigen wie vor 500 Jahren an dieser Stelle Zeitgenössisches. Überhaupt lohnt in diesen Wochen auch der Besuch in den Galerien und Ausstellungshäusern, die über Dürer hinaus viele Blicke auf die Gegenwart bieten: angesagte Künstlerinnen und Künstler, über die namhafte Kenner der internationalen Kunstszene befinden. Nürnberg hat ganz offensichtlich reichlich Talent als Kunststadt.