Von der Schweiz bis in die Südsee
Malerische Höhepunkte von Ernst Ludwig Kirchner und Emil Nolde
No. 02/2021
Gleich zwei neue Publikationen beschäftigen sich auf ganz unterschiedliche Weise mit den bedeutenden Vertretern des deutschen Expressionismus Ernst Ludwig Kirchner und Emil Nolde. Die beiden Bände versprechen neue Blickwinkel auf die Künstler und ihre Werke, jenseits der viel zitierten Narrative.
Als der physisch und psychisch schwer gezeichnete Kirchner 1917 zum ersten Mal nach Davos kam, stand sein Aufenthalt unter dem Aspekt der Genesung und sollte nur von kurzer Dauer sein. In der Abgeschiedenheit der Schweizer Berge fand der Maler jedoch nicht nur seine neue Heimat – zunächst bewohnte er eine Hütte auf der Stafelalp, dann das Haus „In den Lärchen“ und ab 1923 das Bauernhaus „Auf dem Wildboden“–, sondern auch eine ihn inspirierende Landschaft, die mit seinem radikalen künstlerischen Neuanfang eng verknüpft ist. In seinem Spätwerk, das von 1917 bis 1938 entstand, näherte sich Kirchner den eindrucksvollen Bergmassiven und den bäuerlichen Szenerien mit einer neuen Malweise, die eine deutliche Hinwendung zur Abstraktion und beruhigten Formensprache erkennen lässt. Neben visionären Werken voll überwältigendem Farbrausch entstanden feine Naturbetrachtungen, die ihn als sensiblen Beobachter ausweisen. Ein malerischer Höhepunkt dieser Jahre ist das Gemälde Heimkehrende Ziegenherde, das neben 67 weiteren Arbeiten in dem dreisprachigen Katalog Ernst Ludwig Kirchner und die Erhabenheit der Berge zur Luganer Ausstellung Eingang findet. Der Band spürt der künstlerischen Entwicklung von Kirchners fulminantem Spätwerk nach und bietet neue Einblicke in eine zentrale Schaffensphase des Künstlers.
Eine weitere Publikation, die nicht nur Kirchner, sondern auch seinen Kollegen Nolde ins Auge fasst, ist von ganz anderer Art.
Ernst Ludwig Kirchner und Emil Nolde, die eng mit der expressionistischen Bewegung des frühen 20. Jahrhunderts verbunden sind, kehrten als glühende Verfechter der Moderne beide den akademischen Traditionen den Rücken. Für ihre Kunst suchten sie – jeder auf seine Art – Inspiration in einer „natürlichen“ und „ursprünglichen“ Lebensweise, die sie in den Gebräuchen, kulturellen Ausdrucksformen und Objekten von Völkern in Afrika und Ozeanien fanden. Dieses Interesse an vermeintlich ethnischer Andersartigkeit war in dieser Zeit nicht ungewöhnlich. Im Gegensatz zu Kirchner reiste Nolde selbst in die Kolonie Deutsch-Neuguinea, in der Folge entstanden zahlreiche Südseebilder. Der historische und ideologische Kontext der beiden Künstler und ihrer Werke sowie die Reaktionen deutscher Expressionisten auf die Vereinnahmung und Ausbeutung der in den deutschen Kolonien – vor allem in Afrika und Ozeanien – lebenden Völker in den Jahren von 1908 bis 1918 werden von dem bildreichen Band Kirchner und Nolde Expressionismus – Kolonialismus kritisch beleuchtet. cs
Ernst Ludwig Kirchner und die Erhabenheit der Berge Bis 31. Juli 2021 Fondazione Gabriele e Anna Braglia, Lugano Ausstellungskatalog Premiumausgabe: Veredelter Einband, hochwertiges Kunstdruckpapier Text: Deutsch/Englisch/Italienisch Hirmer Verlag € 39,90 Kirchner und Nolde Expressionismus - Kolonialismus Bis 1. August 2021 Statens Museum for Kunst, SMK, Kopenhagen anschl. Stedelijk Museum, Amsterdam Ausstellungskatalog Ausgaben in Deutsch und Englisch Hirmer Verlag € 39,90