Suche nach Identität

Polens Kunst der Jahrhundertwende

No. 02/2022

Stille Rebellen heißt die umfangreiche Schau über den polnischen Symbolismus um 1900, der Blütezeit der polnischen Malerei, die in der Münchner Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung eindrucksvolle Werke des Nachbarlandes zum ersten Mal zugänglich macht. Allein der Titel weckt schon Interesse: ein leiser und geräuschloser Aufstand?

Jacek Malczewski, Der Künstler und die Muse, 1898, Foto: Jerzy Szot

Wer die Geschichte Polens, eines Landes wie so viele andere an den Bruchstellen des europäischen Kontinents zwischen Ost und West, ansieht, erkennt, dass hier ebenso viele Einflüsse wie Widerstände zusammengefunden haben. Bis zu seiner Souveränität 1918 war das Land 123 Jahre lang „staatenlos“, aufgeteilt unter den Besatzungsmächten Russland, Preußen und Österreich. Die politische und kulturelle Entwicklung Polens fand also im ausgehenden 19. Jahrhundert in Opposition zur Unterdrückung statt. Gleichzeitig aber gab es auch einen ideellen Austausch und ästhetische Dialoge mit den künstlerischen Zentren der Epoche wie etwa Wien, Paris, München oder St. Petersburg, was sich in einer Abkehr der polnischen Künstler von Traditionen und Konventionen der Malerei niederschlug und etwa die Künstlerbewegung „Junges Polen“ hervorbrachte.

Imposante Meisterwerke führen uns in eine Welt, die gekennzeichnet ist von der Auseinandersetzung mit Religion, mit Mythen und Landschaften, mit Kindheit und Jugend und vor allem – mit der Geschichte der Region. Als einer der Hauptvertreter des polnischen Modernismus und Symbolismus gilt etwa Jacek Malcewski, der in zumeist dunklen Farben und allegorischen Darstellungen die Rolle des Künstlers thematisiert. Sein Förderer in Krakau, Jan Matejko, war von Wilhelm von Kaulbachs symbolisch-­historischem Stil beeinflusst und malte patriotisch gegen die Zerstückelung Polens sowie die „Russifizierung“ und „Germanisierung“ seiner Heimat an. Wie bei den meisten der im Band vorgestellten Künstler zeigt sich auch bei diesen beiden, was ihren Schaffensdrang wesentlich befeuert: die Suche nach der individuellen und mehr noch – nach der nationalen Identität. mir

Cover für Stille RebellenStille Rebellen
Polnischer Symbolismus um 1900
Bis 7. August 2022
Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, München
Katalog zur Ausstellung, dt. + engl. in getrennten Ausg.
Hrsg. von Roger Diederen, Albert Godetzky, Nerina Santorius
300 Seiten, 219 Farbabbildungen
Hirmer Verlag € 39,90