Schön, oder was?

Hier schieden sich die Geister

No. 02/2019

Mit den Avantgardebewegungen Anfang des 20. Jahrhunderts werden grundlegende Veränderungen eingeläutet, auch der Begriff von Schönheit als zentrales Thema der Kunst wird neu verhandelt. In diese Zeit fällt das Hauptwerk zweier Bildhauer, die auf unterschiedlichen Wegen in die Moderne zu maßgeblichen Protagonisten dieses Umbruchs wurden: Wilhelm Lehmbruck (1881–1919) und sein französischer Kollege Auguste Rodin (1840–1917).

Wilhelm Lehmbruck, Betende, 1918, Musée Rodin, Paris, Foto: Dejan Saric

Auguste Rodin, Je suis belle, Musée Rodin, Paris, Foto: Christian Baraja

Das Lehmbruck Museum in Duisburg nimmt für seine große Jubiläumsausstellung Schönheit. Lehmbruck & Rodin – Meister der Moderne den 100. Todestag von Wilhelm Lehmbruck zum Anlass, dessen Werke und die seiner „künstlerischen Vaterfigur“, dem Bildhauer Auguste Rodin, in einen Dialog treten zu lassen. Die Skulpturen beider Meister gelten heute als „schön“, obwohl dieser Begriff als Bewertungskriterium für Kunst spätestens seit den 1920er Jahren als fragwürdig gilt. Eine willkommene Gelegenheit, um sich der Werke von Lehmbruck und Rodin unter dem Aspekt des sich wandelnden Schönheitsideals und dem damit verbundenen Menschenbild Anfang des 20. Jahrhunderts zu nähern.

In Paris, der einflussreichsten Kunstmetropole Anfang des 20. Jahrhunderts, zog Rodin mit seinem Schaffen und ikonischen Werken wie Der Denker (1880) und Der Schreitende (1900) junge Künstler scharenweise an. Der französische Kunstkritiker André Salmon nannte Rodin 1919 den „Giganten“, den „Titan seines Jahrhunderts“. Auch Lehmbruck, der während seiner Ausbildung an der Akademie in Düsseldorf mit den Werken Rodins erstmals in Kontakt kam, stattete ihm 1910, kaum, dass er sich in Paris niedergelassen hatte, einen Besuch ab. Er bewunderte an den Arbeiten Rodins vor allem die zum Ausdruck gebrachten Emotionen, die Dynamik der Plastiken sowie das Spiel von Licht und Schatten und ließ sich von ihnen zu Beginn seines künstlerischen Schaffens beeinflussen. Umso erstaunlicher ist es, dass diese Orientierung nach dem Atelierbesuch abrupt endete und er eine Ästhetik in seinen Arbeiten verfolgte, die auf einem neuen Verständnis von Proportionen beruhte. Die Skulptur die Knieende (1911), die heute als Lehmbrucks erstes großes Meisterwerk gilt, löste bei der Kritik überwiegend Befremden aus, die Figur wurde als unnatürlich, deformiert und hässlich empfunden. Auch Rodins Arbeiten verstießen gegen die damaligen tradierten Sehgewohnheiten und -erwartungen, für manche der Zeitgenossen waren sie zu wahrheitsgetreu und zu realistisch, um als schön zu gelten. Das Publikum wünschte Werke, deren Ästhetik eher von neobarocker Sinnlichkeit geprägt waren. In der Zusammenschau der ausgewählten Werke von Lehmbruck und Rodin wird deutlich, wie beide eine neue Idee von Schönheit prägten, die das Menschenbild der Moderne bis heute bestimmt. cs

Cover für Schönheit. Lehmbruck & RodinSchönheit. Lehmbruck & Rodin
Meister der Moderne
Bis 18. August 2019
Lehmbruck Museum Duisburg
Katalog Hirmer Verlag € 39,90