Amedeo Modigliani in Wien

Die Jahrhundertschau mit Meisterwerken aus drei Kontinenten

No. 03/2021

Eine solch hochkarätige Schau mit Leihgaben aus führenden Museen der Welt trotz einjähriger, coronabedingter Verschiebung zu realisieren, ist nicht nur eine organisatorische Meisterleistung, sondern wurde zu Recht als Jahrhundertschau angekündigt. Noch bis zum 9. Januar 2022 zeigt das Albertina Museum in Wien Modigliani. Revolution des Primitivismus und bereitet dem italienischen Maler Amedeo Modigliani (1884–1920) zu seinem 100. Todestag eine großartige Bühne.

Amedeo Modigliani, Mädchen mit rotem Haar, 1918, Privatbesitz

Während Modigliani, der mit seiner Kunst und seinem ausschweifenden Lebensstil für mehr als einen Skandal sorgte, von der breiten Öffentlichkeit heute höchste Verehrung erfährt, ist in wissenschaftlichen Kreisen eine gewisse Reserviertheit zu spüren, wenn es um die Positionierung des Malers innerhalb der Avantgarde geht. Jüngste Studien zeigen die Beziehung zu seinen berühmten Kollegen nun in einem neuen Licht. So scheint nicht er der Schüler oder Inspirierte gewesen zu sein, sondern derjenige, der andere inspirierte, wie der Modigliani-Experte und Kurator Marc Restellini in dem Ausstellungskatalog (Hirmer Verlag € 39,90) schreibt. Modigliani gehört demnach neben Pablo Picasso, André Derain oder Henri Matisse zweifellos zu den großen Meistern der Moderne.

„Als ich den Boulevard Montparnasse überquere, [sehe ich] einen sehr gutaussehenden Mann, der einen großen schwarzen Filzhut, einen Samtanzug und einen roten Schal trug; aus seinen Taschen lugten Stifte, unter dem Arm trug er eine riesige Zeichenmappe; es war Modigliani“, erinnert sich Lunia Czechowska, eines der Lieblingsmodelle von Modigliani an ihre erste Begegnung mit ihm. Als Kunststudent kam er 1906 nach Paris und verkehrte in Picassos Kreis am Montmartre. Picasso, Matisse, Derain, Modigliani und Constantin Brâncuşi begannen sich damals für die Kunst fremder Kulturen zu interessieren, die der Kolonialismus in die Pariser Museen brachte. In den Exponaten und ihrer formalen Reduktion auf das Wesentliche sowie den dargestellten, bis dahin in Europa tabuisierten Lebensthemen fanden die Künstler Anregungen. Mit seinem von griechisch-archaischer, afrikanischer, ostasiatischer oder ozeanischer Kunst inspirierten Œuvre gehört Modigliani zu den Künstlern, die dem Primitivismus – dieser Begriff findet im Katalog eine ausführliche Erklärung – bis zu seinem frühen Tod 1920 treu blieb. Anhand von über 80 Werken, denen Arbeiten von Picasso, Brâncuşi, Derain und Artefakte prähistorischer und außereuropäischer Weltkulturen, die Modigliani in Paris gesehen hatte, gegenübergestellt werden, wird seine künstlerische Entwicklung sowie die Bedeutung als führender Künstler der Avantgarde nachvollziehbar. cv

Cover für ModiglianiModigliani. Revolution des Primitivismus
Bis 9. Januar 2022
Albertina Museum Wien
Katalog zur Ausstellung
dt. und engl. (getrennte Ausgaben)
Hirmer Verlag € 39,90