Paula Modersohn-Becker

"Die große Einfachheit der Form, das ist etwas Wunderbares"

No. 03/2021

Über keine deutsche Malerin ist mehr geschrieben worden, kaum eine Künstlerin wurde in Ausstellungen häufiger gewürdigt, und nur ihr wurde bereits 1927 ein eigenes Museum gewidmet: Paula Modersohn-Becker (1876–1907) wurde nach ihrem frühen Tod mit nur 31 Jahren schnell zum Mythos – und zur Projektionsfläche für (Vor-)urteile der folgenden Generationen.

Paula Modersohn-Becker, Selbstbildnis mit rotem Blütenkranz und Kette, 1906/07, Niedersächsisches Landesmuseum Hannover, Rut-und-Klaus-Bahlsen-Stiftung © Landesmuseum Hannover – ARTOTHEK

Vielen gilt sie heute immer noch als typische Malerin von Kinder-, Mutter-Kind- oder Bauernbildnissen. Obwohl ihre Motive zumeist „feminin“ sind, sprechen sie mit ihrer „großen Einfachheit der Form“ und ihrem Malduktus eine ungeheuer direkte, rigorose und mitunter radikale Bildsprache. Auch inhaltlich testete die Malerin Grenzen aus. Einige ihrer Werke gelten mittlerweile als Ikonen der Kunstgeschichte, wie ihr revolutionäres Selbstbildnis am 6. Hochzeitstag von 1906, das erste Selbstporträt einer Künstlerin als Akt. Die Ausstellung der Schirn in Frankfurt hat sich zur Aufgabe gestellt, ein wirklichkeitsgetreues Bild ihres Werkes und außergewöhnlichen Lebens zu zeichnen. Wie könnte dies besser gelingen, als Modersohn-Beckers Gesamtwerk zu befragen? Thematisch ist die Schau aufgegliedert in Selbstporträts und Porträts, Darstellungen von Kindern, Bauern und Akten, Landschaften aus Worpswede und Paris sowie Stillleben, darüber hinaus geht der Katalog ihrer akademischen Ausbildung in London, Berlin und Paris, der Rezeptionsgeschichte ihres Werkes und ihrer Einbettung in die Moderne nach.

Die mit rund 120 Werken aus allen Schaffensphasen umfassende Retrospektive stellt Modersohn-Becker als Vordenkerin, als Wegbereiterin der Moderne und Präexpressionistin vor – und nicht zuletzt als eine Frau und Künstlerin um 1900. Einerseits eine Zeit des Wandels, andererseits eine Epoche, die Frauen immer noch enge Rollenmuster zuwies. Für Paula, die mit dem erfolgreichen Landschaftsmaler Otto Modersohn einen Witwer mit Tochter geheiratet hatte, war es keine Option, ihre künstlerischen Ambitionen zugunsten des Malergatten und der Familie aufzugeben, wie es eigentlich üblich war, im Gegenteil: Sie verließ immer wieder Worpswede, um sich in Paris inspirieren zu lassen und sich ganz ihrer Kunst widmen zu können. Innerhalb von knapp zehn Jahren schuf sie mit 734 Gemälden und rund 1500 Arbeiten auf Papier ein erstaunlich umfangreiches Werk. Es ist bewundernswert, wie mutig und zielstrebig sie ihren künstlerisch einsamen Weg ging, ohne öffentliche Anerkennung und „ohne sich um das Publikum zu kümmern“, wie sie 1903 in einem Brief an Otto schrieb. Dass sich das heutige Publikum zu dieser großartigen Ausstellung zahlreich einfinden wird, ist zu erwarten, schließlich lieben wir alle „Paula“. um

Cover für Paula Modersohn-BeckerPaula Modersohn-Becker
Bis 6. Februar 2022
Schirn Kunsthalle Frankfurt
Katalog zur Ausstellung
dt. und engl. (getrennte Ausgaben)
Hirmer Verlag € 45,-