Weibliche Gestaltung

Ausgezeichnet! Ausgebremst?

No. 03/2022

Mit ihrem berühmten Essay von 1929 „A Room of One’s Own“ prangerte die Schriftstellerin Virginia Woolf nicht nur die fehlende persönliche Privatsphäre von Frauen ihrer Generation an, sondern sah darin eine Metapher für die eingeschränkten Möglichkeiten, sich als Frau frei zu entfalten und damit geistig und finanziell zu emanzipieren.

Erna Zarges-Dürr, Parmesanschale mit Löffel, um 1930, Bröhan-Museum, Berlin © Familie Zarges, Gräfelfing, Foto: Martin Adam, Berlin

Woolfs Gesellschaftskritik bezieht sich vor allem auf den universitären Bereich, in dem Frauen buchstäblich wenig Raum zugestanden wurde. Die Goldschmiedin Paula Straus war einen Schritt weiter: Als die Heilbronner Silberwarenfabrik P. Bruckmann & Söhne 1925 sie von der Kunstgewerbeschule Stuttgart abwerben wollte, sagte Straus unter der Bedingung zu, „innerhalb des Betriebes eine Werkstatt für mich allein“ zu erhalten. Einige ihrer rund 100 Entwürfe, die während ihrer achtjährigen Mitarbeit in den Verkauf gelangten, wurden zu Bestsellern und in Ausstellungen gewürdigt. Die NS-Herrschaft hatte für Straus als Jüdin schwerwiegende Folgen; nach erfolglosen Versuchen zu emigrieren, wurde sie 1942 nach Theresienstadt deportiert und im Jahr darauf in Auschwitz ermordet.

Paula Straus ist eine von 42 Künstlerinnen, deren Lebens- und Schaffensgeschichte in dem Katalog Ansehen! nachgezeichnet werden. Ausgehend von der renommierten Sammlung des Berliner Bröhan-Museums, richtet der Band sein Augenmerk auf Künstlerinnen, die sich allen Hindernissen zum Trotz durchgesetzt und außergewöhnliche Werke der Kunst- und Designgeschichte geschaffen haben: Malerinnen der Berliner Secession wie Maria Slavona und Julie Wolfthorn, Künstlerinnen der Wiener Werkstätte wie Vally Wieselthier und Hilda Jesser, Bildhauerinnen wie Chana Orloff, Keramikerinnen und Bauhauskünstlerinnen wie Margarete Heymann-Loebenstein, Silberschmiedinnen, Glaskünstlerinnen, Möbel-, Porzellan- und Textildesignerinnen. Einige Namen sind heute in Vergessenheit geraten, was nicht unbedingt an ihrem „Frausein“ liegt, sondern – wie bei Paula Straus – auch mit den Schreckensjahren der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu tun hat. Das Buch ermöglicht die Wiederentdeckungen dieser Persönlichkeiten, die mit ihren Werken den Kanon der Kunstgeschichte wesentlich bereichern. cv

Cover für Ansehen!Ansehen!
Kunst und Design von Frauen 1880–1940
Hrsg. von Anna Grosskopf, Tobias Hoffmann
224 Seiten, 150 Farbabbildungen
Hirmer Verlag € 39,90