Von Budapest nach Berlin

Die Ungarische Moderne an der Spree

No. 04/2022

Berlin war zwischen 1910 und 1933 für ungarische Exilkünstler*innen ein Ort der wechselseitigen kulturellen Inspiration. Hier entstanden neuartige, progressive Gemälde, Skulpturen, Architektur, Design, Fotografien, Filme und Theaterentwürfe, die für die Moderne von maßgeblicher Bedeutung waren. Mit rund 200 Exponaten stellt die Ausstellung Magyar Modern (Ungarische Moderne) bekannte und zwischenzeitlich vergessene Künstler*innen der ungarischen Avantgarde im Austausch mit dem Berlin der Weimarer Republik in den Mittelpunkt.

Hugó Scheiber, Auf der Straßenbahn, 1926, Ernst Galerie, Budapest, Courtesy Ernst Galerie, Budapest

„Die Hupen der Autos, das Klingeln der Straßenbahnen, das Tuten der Omnibusse, das Hallo des Kutschers, das Sausen der Untergrundbahn […] das neue Jahrhundert überschüttet den Menschen mit Erfindungen, neuen Materialien, Konstruktionen, Wissenschaften“ – für den ungarischen Künstler László Moholy-Nagy war Berlin Anfang des 20. Jahrhunderts der Inbegriff der Moderne. Wie viele seiner Künstlerkolleg*innen war er 1920 in die Spreemetropole gekommen, die mit ihrem pulsierenden, anregenden, weltoffenen Geist und ihrer international bedeutsamen Kunstszene ein geeigneter Zufluchtsort für Intellektuelle aus Ungarn wurde. Im Jahr zuvor war in Ungarn für 133 Tage eine sozialistische Räterepublik ausgerufen worden, in die sich zahlreiche Künstler*innen u.a. mit der Gestaltung von politischen Plakaten einbrachten. Nachdem im August desselben Jahres die Regierung durch ein nationalkonservatives autoritäres Regime abgelöst worden war, begann die politische Verfolgung linksgerichteter und jüdischer Intellektueller und Kunstschaffender, die scharenweise ihr Land verließen. Durch die vormalige Zugehörigkeit Ungarns zur Habsburger Monarchie waren die deutsch-ungarischen kulturellen Beziehungen traditionell eng, so lag es für viele Exilanten nahe, sich in Berlin anzusiedeln.

Einer, der in Berlin die neuen Impulse der ungarischen Kreativen in besonderem Maße aufnahm und förderte, war der Galerist und Verleger Herwarth Walden. Für viele bis dahin unbekannte Künstler*innen bedeuteten die zahlreichen Einzelausstellungen in der Galerie Sturm ein Sprungbrett für ihre Karriere. Unter ihnen fand sich der Budapester Künstler Hugó Scheiber, der mit seinen Porträts sowie Pastelldarstellungen bewegter Revueszenen und Tanznummern bis 1931 jedes Jahr bei Walden präsent war. Neben den Malern, Grafikern und Bildhauern wie Béla Kádár, Peter László Péri, Lajos Kassák und János Mattis Teutsch prägten und bereicherten auch Architekten wie Fred Forbát, Oskar Kaufmann oder Marcel Breuer, Fotograf*innen wie Martin Munkácsi, Éva Besnyő oder Judit Kárász das kulturelle Leben der Metropole. Mit der Machtübernahme Adolf Hitlers 1933 kehrten viele von ihnen Berlin den Rücken und setzten anderswo ihre Karriere fort – eine fruchtbare Zeit der gegenseitigen Inspiration war zu Ende. cv

Cover für Magyar ModernMagyar Modern
Ungarische Kunst in Berlin 1910–1933
Bis 6. Februar 2023
Berlinische Galerie

Katalog zur Ausstellung
Deutsche und englische Ausgabe
Hirmer Verlag € 49,90