Fresko-­Kunsträtsel

No. 04/2022

Wer bin ich?

Das Bild von dem zornigen jungen Mann, der mittels Pinsel und Stift seinen Hass auf die Menschheit – sich selbst eingeschlossen – in die Welt hinausschleudert, hat sich tief in die Köpfe der Nachwelt eingegraben. Meine verspielte Seite, die naturgemäß von schwarzem Humor geprägt war, erlebte dagegen vor allem mein direktes Umfeld. Es war davon nicht immer begeistert.

Im Atelier eines Malerkollegen, dem ich bis dahin unbekannt war, trat ich inmitten der eher nachlässig gekleideten Boheme im eleganten Zwirn, wie einem Modemagazin entsprungen, auf. Ich gab mich als holländischer Kaufmann aus, dessen geschäftliche Angelegenheiten ihn in die Hauptstadt geführt haben. Der staunenden und zunehmend ungläubigen, schließlich schockierten Zuhörerschaft machte ich weis, dass ich auf die Genehmigung warte, Granatsplitter von den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges einsammeln zu dürfen, um sie von Kriegsversehrten säubern und anschließend bemalen zu lassen. Als Aschenbecher oder Briefbeschwerer verkauft, würden sie mir Millionen einbringen. Das Atelier tobte.

Nur einer nicht, er war fasziniert von dieser Inszenierung der Absurdität. Fortan heftete er sich an meine Fersen und genoss meine Auftritte: Mal saß ich im angesagtesten Künstlercafé der Stadt wie der leibhaftige Tod, kalkweiß gepudert, mit blutroten Lippen, im schokoladenbraunen Anzug und einem schwarzen dünnen Stock zwischen den Knien, mit einem elfenbeinernen Totenkopf als Knauf. Mal gab ich mich als Boxer aus, mal als Mörder, als amerikanischer Arzt, Stepptänzer oder Westernheld. Nur als Künstler posierte ich nicht, denn meine Arbeiten waren nichts wert, sie waren infantil und stümperhaft. So hatten es mir zumindest die zahlreichen Briefe der Kunstexperten des Landes versichert. Dass ich schließlich doch zu einem der wichtigsten Künstler des 20. Jahrhunderts wurde, habe ich nicht zuletzt jenem Freund zu verdanken, der mich bald nach meiner Granatsplitter-Mär in meinem armseligen Atelier am Rande der Großstadt besuchte. Dort stöberte er in den Kisten, die ich ihm widerwillig geöffnet hatte. Begeistert von den unzähligen Zeichnungen und Aquarellen, die ihm entgegenquollen, setzte er sich über mein ungläubiges Hohngelächter hinweg und versprach mir, mich zu fördern. Als Künstler, nicht als Westernheld. Wer bin ich?

Wer bin ich?
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Auf‌lösung des Kunsträtsels aus Fresko 03/2022: Dora Maar (1907–1997)