Taxi Antigua

Schatten der Karibik

No. 02/2021

Die 1949 auf Antigua geborene Jamaica Kincaid veröffentlichte ihre erste Erzählung im New Yorker, und viele ihrer Geschichten sind preisgekrönt. In ihrem neuen Roman Mister Potter dreht sie das gängige Karibik-Bild auf links und hinterlässt dabei keine Spuren im Sand, sondern bittere Einsichten. Denn unter der Sonne Antiguas bestimmt die Tragödie das Inselleben.

In Mister Potter dreht sich alles um die gleichnamige Hauptperson, den Vater der Autorin. Dieser ist Analphabet und verdingt sich als Chauffeur auf Antigua. Er lebt in den Tag hinein und fristet ein ärmliches Dasein. Unter der gnadenlosen Sonne der Insel verschmilzt allmählich das Autobiografische mit der Fiktion. Es wird für die Leser schwer, das Konkrete vom Abstrakten zu unterscheiden, und stilistische Tricks verführen uns letztlich zu der Annahme, die Tochter nun besser als den sich im Kreis drehenden Vater zu kennen.

Jamaica Kincaid, die in Harvard African and Afroamerican Studies lehrt, arbeitet in diesem kleinen Roman mit vielen Anaphern, Wiederholungen, Parenthesen und Gedankenexperimenten. Es gibt keine Handlung, Dialoge sind rar, und wir wissen auch nicht, wie die Personen aussehen. Die Autorin bevorzugt die detailgenaue Beschreibung der Landschaft, den Gebrauch des inneren Monologs, und sie reist gern in den Erinnerungen der Protagonisten. Doch verliert sich Kincaid dabei nicht im Experimentellen. Sie schafft es, die Leser mit ihrer eigenwilligen Sprache und mit leisem, aber stetem melancholischen Ton auf ihre Seite zu ziehen. Unbemerkt nimmt sie uns an die Hand und zeigt uns ihre Karibik, in der keine Cocktails in schicken Strandbars geschlürft werden, sondern Rassismus, Sexismus und Armut den Alltag bestimmen. kh

Mister Potter
von Jamaica Kincaid
Übersetzt von
Anna und Wolf Heinrich Leube
Gebunden, 224 Seiten
Kampa Verlag € 22,–