Shahzia Sikander

Zeitgeist trifft indopersische Miniaturmalerei

No. 02/2021

Die pakistanisch-amerikanische Künstlerin Shahzia Sikander verbindet in ihren filigranen Zeichnungen auf außergewöhnliche Weise die Einflüsse zweier Welten: die der traditionellen indopersischen Miniaturmalerei mit Ausdrucksformen und Anliegen der zeitgenössischen Kunst. In diesem Sommer wird ihr das Museum der Morgan Library in New York eine Ausstellung widmen. Shahzia Sikander: Extraordinary Realities, so lautet auch der Titel des bereits jetzt in englischer Sprache im Hirmer Verlag erschienenen Katalogs.

Shahzia Sikander, Eye-I-ing those Armorial Bearings, 1989–1997, The Collection of Carol and Arthur Goldberg © Shahzia Sikander

Anhand von rund 60 Werken lassen sich die vom Titel beschworenen „außergewöhnlichen Realitäten“ im Leben und Œuvre der 1969 in Lahore geborenen Künstlerin nachvollziehen. In ihren feinstofflichen, meist kleinformatigen Zeichnungen und Collagen auf Transparentpapier setzt sie sich seit den späten 1980er Jahren mit dem kolonialistischen Einfluss auf islamische und südasiatische Bildtraditionen auseinander.

Ein besonders dringendes Anliegen war Sikander dabei die fehlende Repräsentation Südasiens in der westlichen feministischen Kunstgeschichtsforschung. Das übergreifende Narrativ eines „Dritte-Welt-Feminismus“, der sich auf Frauen in nicht-westlichen Gesellschaften bezog, empfand die Künstlerin immer als beleidigend und einschränkend. Sie ging dagegen mit einer extremen Offenheit an, sowohl was die Ausdrucksform als auch die Inhalte betraf. Die fast bilderstürmerische Dekonstruktion pakistanischer Miniaturmalerei verband sie mit einem neuen persönlichen Vokabular, das sie während ihrer ersten Jahre in New York entwickelte. Es waren Erkundungen rund um das Thema Identität, die sich in einer intensiven Auseinandersetzung mit Geschlecht, Sexualität, Rasse, Klasse und Geschichte widerspiegelten. Unter den Exponaten der Ausstellung ist eine Seite aus dem Bhāgavata Purāna, die eine halb männliche und halb weibliche Figur zeigt. Sikander hat diese historische Darstellung aus der Morgan-Sammlung ausgewählt, weil deren Stil und Ikonografie mit ihren eigenen Interpretationen der indischen Manuskripttechniken übereinstimmen. ck

Cover für Shahzia SikanderShahzia Sikander
Extraordinary Realities
18. Juni bis 26. September 2021
Morgan Library, New York
Katalog zur Ausstellung
Text: Englisch
154 Seiten, 90 Abbildungen in Farbe
Hirmer Verlag € 39,90