Phyllida Barlow

Grenzüberschreitung als Prinzip

No. 02/2021

Sobald das Haus der Kunst im Mai wieder Besucher empfangen darf, sollte Phyllida Barlows Retrospektive frontier in München ganz oben auf der Liste stehen. Die aufwendige Museumsschau der britischen Bildhauerin, die bisher vor allem in Kunstkreisen bekannt war, ist ein Erlebnis: nicht nur kognitiv, sondern auch physisch.

Phyllida Barlow, Installationsansicht frontier, Haus der Kunst, München, 2021, Foto: Maximilian Geuter, © Phyllida Barlow

Als Auftakt versperrt ein undurchdringliches Dickicht aus meterhohen Bannern dem Besucher den Durchgang: einfache Kanthölzer, deren Füße mit orangefarbenen Sandsäcken beschwert sind und deren Enden von grell eingefärbten Stoffbahnen bekrönt werden. Für einen distanzierten Betrachterstandpunkt fehlt bei Untitled:100 banners der Platz, man steht nicht vor, sondern mitten im Werk und wird unweigerlich zum Mitspieler einer Protestbewegung mit unbekanntem Anliegen.

Phyllida Barlow, Jahrgang 1944, bezeichnet ihre monumentalen architektonischen Installationen selbst gerne als „obstacles“, also Hindernisse. Sie konstruiert ihre Skulpturen aus einfachen Alltags- und Baumaterialien wie Zement, Bauholz, Gaffa Tapes und Gipsbinden. Die Dimensionen ihrer Konstruktionen sind dabei oft so gewaltig, dass sie aus Mangel an Lagerraum nach der Ausstellung zurückgebaut und damit zerstört werden. Einzelne Elemente finden dann Eingang in neue Projekte, sodass ein ständiger Kreislauf von Entstehungsprozess, Zerstörung und Wiederaufbau einkalkuliert ist.

Den Anschein von etwas Vorübergehendem verstärkt die handwerkliche Anmutung und zugleich unvollkommene Ausführung der skulpturalen Architekturen. Sie geben vor, einen Gebrauchswert zu haben, und sind doch wunderbar zweckfrei. Der Großteil von Barlows Arbeiten entsteht vor Ort und wird spezifisch für diesen entwickelt. Das Team ihres Londoner Studios war im Haus der Kunst wochenlang mit dem Aufbau beschäftigt. Dem für die Ewigkeit gebauten Haus der Kunst setzt frontier – was sich zwar wörtlich als Grenze übersetzen lässt, aber inhaltlich vor allem als die Überschreitung derselben zu verstehen ist – einen gekonnten Kontrapunkt. ck

Cover für Phyllida BarlowPhyllida Barlow - frontier
Bis 25. Juli 2021
Haus der Kunst, München
Katalog zur Ausstellung
Premiumausgabe:
Leinen mit Siebdruck, Papierwechsel
Deutsche und Englische Ausgabe
Hirmer Verlag € 49,90