Schwestern der Anarchie
Die weibliche Seite des Surrealismus
No. 01/2020
Die bedeutsame Rolle, die Künstlerinnen im Surrealismus spielten, ist bisher weitgehend unbekannt. Die große Frankfurter Themenausstellung Fantastische Frauen stellt nun mit 260 Werken von 36 Künstlerinnen aus Europa, den USA und Mexiko die kreative Vielfalt und Eigenständigkeit der Surrealistinnen vor und korrigiert den Blick auf ein wichtiges Kapitel der Kunstgeschichte.
Das Werk Frühstück im Pelz, eine mit Pelz beklebte Tasse, Untertasse und Löffel, avancierte 1936 zum surrealistischen Objekt schlechthin und wurde noch vor seiner Präsentation in der Ausstellung Fantastic Art, Dada, Surrealism vom Museum of Modern Art in New York angekauft. Schöpferin dieser Ikone war die damals 22-jährige Künstlerin Meret Oppenheim, über die ihr Kollege und Exgeliebter Max Ernst schrieb: „Wer überzieht die Suppenlöffel mit kostbarem Pelzwerk? Das Meretlein. Wer ist uns über den Kopf gewachsen? Das Meretlein.“ Für die Kuratorin der Schau, Ingrid Pfeiffer, spiegelt sich in Max Ernsts Aussage zwischen Achtung und Abwertung die grundsätzliche Haltung der männlichen Surrealisten zu ihren Kolleginnen wider, die „nur selten als gleichwertige Mitglieder der Gruppe wahrgenommen wurden“.
Zunächst war die surrealistische Bewegung um ihren geistigen Kopf André Breton im Paris der 1920er Jahre eine männliche Angelegenheit. Künstler und Literaten wie Max Ernst, Salvador Dalí, Paul Éluard, Louis Aragon, Man Ray und Yves Tanguy stellten das rationale Weltbild infrage, lehnten das Patriarchat ab und feierten in ihren Werken „das Weibliche“ – ohne dass jedoch eine Frau in ihre Reihen aufgenommen wurde. Um 1930 änderte sich dies, Künstlerinnen schlossen sich der Gruppe an und nahmen regelmäßig an international bedeutenden Ausstellungen teil. Wie ihre männlichen Kollegen setzten sie sich in ihren Arbeiten mit Mythen, dem Unbewussten, Traum, Zufall und Metamorphose auseinander, die größten Unterschiede lassen sich in der Darstellung des eigenen Selbst erkennen. Ironie und spielerische Umkehr der Perspektiven bestimmen den Blickwinkel von Surrealistinnen wie Leonora Carrington, Claude Cahun, Lee Miller, Dora Maar oder Edith Rimmington.
Mit 350 Abbildungen in dem 420 Seiten starken Ausstellungskatalog, der von der Presse bereits kurz nach Erscheinen als Standardwerk betitelt wurde, werden exemplarische Werke der 36 Künstlerinnen vorgestellt, die den Wirkkreis surrealistischer Formensprache maßgeblich erweiterten. cs
Fantastische Frauen Surreale Welten von Meret Oppenheim bis Frida Kahlo Bis 24. Mai 2020 Schirn Kunsthalle Frankfurt Dt. und engl. Ausgabe Hrsg. Ingrid Pfeiffer Hirmer Verlag € 49,90