Reise in die Unterwelt
Olga Tokarczuk erzählt sumerische Mythen
No. 02/2022
Olga Tokarczuk, deren Werk aus dem Polnischen in 37 Sprachen übersetzt und mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde, erzählt in ihrem jüngsten Roman Anna In einen 4000 Jahre alten sumerischen Mythos. Gekonnt verwebt die studierte Psychologin darin menschliche Bedürfnisse mit Übersinnlichem und Altertümlichem.
Im sumerischen Uruk, einem Ort von wilder Schönheit, herrscht die verführerische Göttin Annain. Sie ist jung, schön und sozial, aber auch sprunghaft und egoistisch. Wo sie regiert, sind Mythen und Geschichten allgegenwärtig, sie verbinden die Vergangenheit mit der Zukunft. Fahrstühle fahren kreuz und quer in alle Himmelsrichtungen, aber auch hinunter in düstere Katakomben. Dort, im dunklen Reich des Todes, lebt und herrscht Annains Zwillingsschwester, in allem ihr Gegenteil. Als sie Annain zu sich ruft, fährt diese hinunter, ohne über die Folgen nachzudenken. Niemals zuvor ist jemand zurückgekehrt und Annain wird einen hohen Preis zahlen müssen, um wieder zu den Lebenden gehören zu dürfen. Eindrucksvoll und empathisch beschreibt Olga Tokarczuk zwei Welten, die ohne einander nicht auskommen. Dieses Zweiermotiv setzt sie auch in ihrer Sprache ein, die zwischen leicht und gewitzt und finster und schwer jongliert. Allein schon ihr Vorwort, in dem sie über die Quellen ihrer Erzählung aufklärt, lädt ein, sich auf die Gottheiten und Geschichten der Sumerer einzulassen, die in Anna In eine fantastische Würdigung finden, die lange nachhängt. la
ANNA IN. Eine Reise zu den Katakomben der Welt von Olga Tokarczuk Aus dem Polnischen übersetzt von Lisa Palmes Gebunden, 192 Seiten Kampa Verlag € 22,–