Im Schwarm der römischen Nachtfalter

No. 01/2022

Gianfranco Calligarichs Roman Der letzte Sommer in der Stadt erschien erstmals 1973 und wurde fast 50 Jahre später wieder aufgelegt. Doch wirkt er noch immer taufrisch und verführt wie damals, sich dem Zauber Roms hinzugeben.

Leo Gazzarra schreibt für eine Sportzeitung und kommt gerade so über die Runden. In Der letzte Sommer in der Stadt lässt ihn Gianfranco Calligarich Anfang der 1970er im Schwarm der römischen „Nachtfalter“ dahintreiben. Dabei lernt er die Studentin Arianna kennen. Sie ziehen von einer Bar zur nächsten und feiern die Nächte durch. Tagsüber erholen sie sich am Meer, um abends wieder ihren Müßiggang aufzunehmen und „die Segel zu setzen“. Leo verliebt sich in Arianna, die genauso ziellos dahinlebt wie er. Doch wie zwei Magneten stoßen sie sich immer wieder ab, um wiederum vom Zauber der Stadt angezogen zu werden. Allmählich jedoch verglimmt ihre bittersüße Liebe.

Für Leo Gazzarra, der nicht unbedingt sympathisch wirkt, gibt es keinen tiefverwurzelten Zweck des Lebens, und mit Zielen und Wünschen hat er nichts zu tun. Er schaut lieber zu, als wirklich teilzunehmen. Und doch folgen wir ihm gern durch die überhitzten Straßen Roms und hoffen, dass es mit ihm bald aufwärtsgehen möge.

Sicher: Die Handlung ist nicht wirklich atemberaubend. Vielmehr sind es die spritzigen Dialoge, geistreichen Überlegungen und schrägen Streitereien, die der überbordenden Melancholie der Geschichte eine magische Leichtigkeit verleihen. Den Spagat schafft Calligarich, indem er wunderbar unromantisch, warm und leicht erzählt. Elegant, komplex und bildhaft kommt seine Sprache daher, wobei ihr Rhythmus an die Beat-Literatur erinnert. Und schon sitzen wir mit ihm in einem alten Alfa Romeo. Wir cruisen durch Trastevere, spüren die drückende Sommerhitze und den Platzregen auf der Haut.

Gianfranco Calligarich wurde 1947 geboren und wuchs in Mailand auf. Er lebt in Rom und arbeitet als Journalist und Drehbuchautor. Sein Roman wird derzeit in 20 Sprachen übersetzt. Wer in Rom vernarrt ist, wird darin mit Déjà-vus belohnt. Wer Rom noch nicht kennt, wird schier genötigt, dies bald nachzuholen. kh

Der letzte Sommer in der StadtDer letzte Sommer in der Stadt
Roman
Von Gianfranco Calligarich
Übersetzt von Karin Krieger
Gebunden, 208 Seiten
Paul Zsolnay Verlag € 22,-