Fresko-Kunsträtsel

No. 01/2022

Wer bin ich?

Als ich 100 Jahre alt war, tanzte ich mit dem Wiener Bürgermeister Walzer. Bis ins hohe Alter war ich eine lebensfrohe, geistig rege und charismatische Erscheinung. Als Kind galt ich allerdings als so kränklich, dass selbst die Schule meinen Eltern zu anstrengend für mich erschien und ich ein Jahr pausierte. Früh fiel mein außergewöhnliches Zeichentalent auf, was meinen Vater – einen liberalen Wiener Staatsbeamten – veranlasste, mir die Ausbildung zur Lehrerin ans Herz zu legen. Mit 18 Jahren bewarb ich mich jedoch an der Kunstgewerbeschule, begann dort zu studieren und nahm drei Jahre lang an den Vorbereitungsklassen teil. Angeboten wurde Architektur, Bildhauerei, Malerei, Keramik, Textil und Mode. Einer der Professoren war eine solch inspirierende Persönlichkeit, dass ich den Mut fasste, seinen, für Frauen eher unüblichen Fachbereich zu belegen und fand mich als einzige Studentin unter lauter Männern wieder – eine abwegige Wahl, wie nicht nur mein Vater empfand. Nachdem ich aber bei einem Wettbewerb den ersten Preis gewonnen hatte, verstummten die kritischen Stimmen und meine Karriere begann. Bereits unmittelbar nach dem Studium erhielt ich erste öffentliche Aufträge und arbeitete mit den berühmtesten Kollegen meiner Zeit zusammen – da war ich gerade einmal Mitte Zwanzig. Unsere Kunst widmeten wir dem Alltag der Menschen, sozialen Fragen und wie sich Funktion und Gestaltung intelligent verbinden ließ.

Als sich die wirtschaftliche und politische Lage im Land verschlechterte, nahmen mein Mann und ich – wir waren seit 1927 verheiratet – einen Ruf nach Moskau an, wo wir sieben Jahre lang gemeinsame Projekte realisierten, anschließend arbeiteten wir an der Akademie der Schönen Künste in Istanbul. Als dort mein Vertrag nicht verlängert wurde, reiste ich als Kurierin für den österreichischen Widerstand nach Wien, wurde jedoch verraten und verhaftet. Vier Jahre von einer ursprünglich 15-jährigen Haftstrafe saß ich im Frauengefängnis Aichach ab, bis ich 1945 von der US-Armee befreit wurde. Nach dem Krieg war es für mich nicht leicht, Aufträge zu erhalten, erst spät wurden mein Gesamtwerk und meine singuläre Bedeutung für die Kunst anerkannt. Nur wenige Tage vor meinem 103. Geburtstag starb ich, die mehrfach Tuberkulose besiegt hatte, an einer Grippe – wer bin ich?

Wer bin ich?
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Einsendeschluss: am 19. April 2022
Auflösung des Kunsträtsels aus Fresko 04/2021:
Jacoba van Heemskerck (1876-1923)