Hommage an das Leben

Der Wert der Kunst liegt im Betrachter

No. 04/2015

Die Künstlerin Agnes Martin wird für ihre stillen minimalistischen Bilder verehrt, die dank ihrer sanften, reduzierten Farbpalette und Formgebung eine meditative Wirkung entfalten. Ihre Werke „machen glücklich, so wie das Gefühl, wenn du am Morgen aufwachst“, wurde der Malerin häufig bestätigt, die im hohen Alter ihr Streben in Worte fasste – „und Glück ist das Ziel, nicht wahr?“

Zu einem Zeitpunkt, als sich der erste große Erfolg einstellte, verließ die Malerin Agnes Martin (1912–2004) New York und zog sich 1967 in die Abgeschiedenheit der Wüste von New Mexico zurück. Mit der gleichen rigorosen Entschlossenheit, mit der sie später Arbeiten verwarf, die ihren Ansprüchen nach Perfektion nicht entsprachen, wandte sie sich ab, um Ruhe zu finden. „Um im Leben vorwärtszukommen, musst du Dinge aufgeben, die du nicht magst. Du musst die Dinge finden, die du magst. Die Dinge, die deinem Inneren angenehm sind“, äußerte sich die Malerin 1989 zu dieser Entscheidung.

In New Mexico legte Martin eine siebenjährige Schaffenspause ein, eine Zäsur, die das Ende ihrer ersten Werkphase markierte. Diese begann in den späten 1950er Jahren. Eine Ausstellung ihrer frühen Werke in der Betty Parsons Gallery, die auch Größen wie Jackson Pollock, Mark Rothko, Clyfford Still und Barnett Newman zeigte, bedeutete ihren Durchbruch in der von Männern dominierten amerikanischen Kunstwelt der späten 1950er und 1960er Jahre. Aus dieser frühen Phase sind nur wenige Werke erhalten, viele kaufte Martin später zurück, um sie zu zerstören. Die Bilder zeigen Landschaften, Stillleben, später biomorphe Motive, die von größeren, abstrakter gehaltenen Bildelementen und geometrischen Formen abgelöst wurden.

Erste große Retrospektive

Die zweite Werkphase Martins begann Anfang der 1970er Jahre und umspannt drei Jahrzehnte. Die Klarheit der Linie und die Serialität sind Begriffe, die die Malerin nun beschäftigen. Eine erste Werkgruppe zeigt Arbeiten, die sie mit verwässerten Acrylfarben in Rosa- und Blautönen, in senkrechte, mit dem Graphitstift umrissene Streifen zu symmetrischen Strukturen vermalte. Es ist eine Wende, die Agnes Martin als Übergang zu Freude und Glück beschrieb. Obwohl Martin schon früh große Anerkennung für ihr Werk erhielt und ihr Wirken einen signifikanten Einfluss auf Künstler ihrer Zeit wie auch auf nachfolgende Generationen ausübte, ist die Malerin in Europa vergleichsweise unbekannt. Das mag auch dem Umstand geschuldet sein, dass ihre Werke nur selten in Museumssammlungen zu finden sind.

In der Kunstsammlung Nordrhein- Westfalen in Düsseldorf findet nun die erste große Retrospektive zum Werk Agnes Martins seit ihrem Tod 2004 statt. Als Besucher fühlt man sich außergewöhnlich willkommen geheißen, nicht zuletzt durch Agnes Martins Credo: „Der Wert der Kunst liegt im Betrachter.“ Die Ausstellung wurde von der Londoner Tate Modern übernommen und wird im kommenden Jahr weiter nach Los Angeles und New York reisen. Die Düsseldorfer Schau bietet die einmalige Möglichkeit, die gesamte Bandbreite Martins Malerei zu erleben. Eine begleitende Ausstellungspublikation mit knapp 300 Seiten zeigt nicht nur alle Bilder Martins von jeder Ausstellungsstation, sondern würdigt sie darüber hinaus mit dem Abdruck ihrer selbst verfassten Texte als eine geistig-kreative Künstlerin, die nicht nur Kollegen, sondern auch Dichter und Musiker über mehrere Jahrzehnte inspirierte. um

9783777423746_3DnAgnes Martin
Bis 6. März 2016 Kunstsammlung 
Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf

Katalog zur Ausstellung 
Hg. Frances Morris
Hirmer Verlag € 45,–