Gewitter um Rubens

Anatomie eines Meisterwerks

No. 01/2021

Peter Paul Rubens (1577–1640) ist vor allem bekannt durch seine üppigen Frauenakte. Doch ein tieferer Einstieg in sein Werk zeigt, dass der Künstler, einer der ganz Großen der europäischen Kunstgeschichte, in allen Genres der Malerei Bahnbrechendes geleistet hat, so auch in der Landschaftsmalerei.

Peter Paul Rubens, Gewitterlandschaft mit Jupiter, Merkur, Philemon und Baucis, um 1620/1625 bis um 1636, Kunsthistorisches Museum Wien, Gemäldegalerie © Kunsthistorisches Museum Wien, Gemäldegalerie

Der reinen Landschaftsmalerei wandte sich Rubens erst im fortgeschrittenen Alter in den 1630er Jahren zu. Zu dieser Zeit hatte er im Leben alles erreicht, was man nur erreichen kann: Er galt als berühmtester Maler Europas außerhalb Italiens, besaß eine florierende Werkstatt, war nach dem Tod seiner ersten Frau in zweiter Ehe glücklich verheiratet und sah seine Kinder aus beiden Ehen heranwachsen. Zudem besaß er in seiner Heimatstadt Antwerpen ein prachtvolles Palais, das er im Stil der italienischen Renaissance selbst entworfen hatte, war als Diplomat erfolgreich und wurde deshalb gleich zweimal, vom spanischen und vom englischen König, geadelt. 1635 erwarb er den Landsitz Het Steen, dessen Umgebung ihn zu seinen Landschaften inspirierte. Er malte diese Bilder nicht für Auftraggeber, sondern zum eigenen Vergnügen. Bei seinem Tod befanden sich noch 18 Landschaftsgemälde in seinem Besitz.

Die großformatige Gewitterlandschaft mit Philemon und Baucis (146 x 208,5 cm) im Wiener Kunsthistorischen Museum ist ein Hauptwerk des Künstlers, das seiner Zeit 200 Jahre voraus ist. Die furchteinflößende Hexenküche des Unwetters in einiger Ferne, die atemberaubenden Wolkengebirge und die tosenden Wassermassen im Vordergrund, die Mensch und Tier bedrohen oder schon fortgerissen haben, verweisen voraus auf William Turner. Jüngst wurde das Werk restauriert.

Der reich illustrierte, neu erschienene Bildband, der zu Recht den Untertitel Anatomie eines Meisterwerkes trägt, erlaubt es nun, den Restauratoren und Wissenschaftlern über die Schulter zu schauen und faszinierende Details über die Entstehungsgeschichte des Bildes und die Arbeitsweise des Malers zu erfahren. Die seltsame Angewohnheit von Rubens, auf Holztafeln zu malen, die aus zahlreichen kleinen Brettern zusammengefügt worden waren, ist seit langem bekannt. Zur Erklärung wurden zwei gegensätzliche Theorien vorgebracht. Die eine besagt, dass der sparsame Künstler in der Werkstatt herumliegende Holzreste zu Tafeln in Standardgröße zusammenfügen ließ. Gegen diese Ansicht spricht jedoch, dass das präzise, fachmännische Verleimen von bis zu 20 Einzelbrettern kostspieliger gewesen sein dürfte als jede Ersparnis durch die Verwendung der Holzabfälle.

Die entgegengesetzte Theorie geht daher davon aus, dass Rubens die Arbeit auf einer kleinen Holztafel mit einem zentralen Bildkern, hier dem eigentlichen Gewitter, begann, um sie sukzessive zu einer immer größeren Szenerie zu erweitern, nachdem er stetig neue Ideen für die Gesamtkomposition entwickelt hatte. In mehreren Arbeitsschritten ließ Rubens die Kerntafel daher an allen vier Seiten um 14 Bretter und Brettchen anstücken. Eingehende Untersuchungen der Restauratoren ergaben, dass dies tatsächlich das Geheimnis hinter den zusammengesetzten Brettern ist. Erst im letzten Stadium fügte Rubens rechts im Bild die in Ovids Metamorphosen geschilderte Geschichte des armen, alten Ehepaars Philemon und Baucis ein, das als einzige in einer Stadt in Phrygien dem Göttervater Jupiter und seinem Sohn Merkur Gastfreundschaft gewährte und so vor der alle übrigen Stadtbewohner strafenden Flut gerettet wurde. Mit den Mitteln der Dendrochronologie, also der Analyse der Jahresringe des Holzes, lässt sich bestimmen, wann und wo die Bäume gefällt wurden, aus dem die Tafeln entstanden. In diesem Fall handelt es sich um Eichen aus dem Baltikum, die frühestens 1592, 1604 und 1606 gefällt worden sind. wr

Cover für Die Große Gewitterlandschaft von RubensDie Große Gewitterlandschaft von Rubens
Anatomie eines Meisterwerks
Dauerausstellung Kunsthistorisches Museum, Wien
Ausstellungskatalog
Hg. Gerlinde Gruber, Elke Oberthaler
Text: Deutsch u. Englisch in getrennten Ausgaben
128 Seiten, 211 Farbabbildungen
Hirmer Verlag € 29,90