Erlebte Rezepte
Ein Kompass für Herz und Bauch
No. 04/2015
Luciano Valabrega, ein römischer Künstler und Dichter mit jüdischen Wurzeln, hat mit Puntarelle & Pomodori. Die römisch-jüdische Küche meiner Familie kein gewöhnliches Kochbuch geschrieben. Es gibt weder Hochglanz-Tellerbilder, noch Mengenangaben, nicht einmal Zutatenlisten. Aber dieses kleine, handliche, in rotem Leinen gebundene Buch passt in jede Küche, in der mit Herz, Bauch und Hirn gekocht wird und nicht Anleitungen abgearbeitet werden.
In Valabregas „Küche servierte man auf schlichte Weise maßlose Portionen an Zuneigung und Liebe. Einfache Rohstoffe. Eine Umarmung, ein Verweilen ohne Bedrängnis, eine Lebensgeschichte, ein bisschen Aufmerksamkeit.“ Seine 116 Rezepte, auf 135 Seiten klassisch eingeteilt in Vorspeisen, Primi, Secondi, Contorni und Dessert, sind von Anekdoten und kleinen Geschichten eingerahmt.
Das Rom der 40er und 50er Jahre
Der Autor, der mit seinen Eltern die Naziverfolgung überlebt hatte, lässt uns an seinen Erinnerungen an das Rom der 40er und 50er Jahre teilhaben. Wir besuchen mit ihm die Küchen seiner jüdischen Familie im Campo Marzio, die seiner Großeltern im Trastevere und machen kleine Abstecher in das Kino Altieri, die Bar Roma und das Meerbad in Anzio. Wir essen „in der Osteria um die Ecke, die früher ,Zu den schönen Ärschen‘ hieß, mit Bezug auf die gewaltigen Hinterteile der Wirtsleute“. Und wir erfahren, wie die gegenseitige Nachbarschaftshilfe und vor allem die einfachen, aber mit ursprünglichen Rohstoffen zubereiteten Gerichte der römischen cucina povera seiner Familie und den anderen über die harten Zeiten hinweghalfen.
Mittagessen des betrogenen Ehemanns
Rund 30 Gerichte sind im Kochbuch mit einem Stern gekennzeichnet und stammen aus der römisch-jüdischen Tradition der Valabregas. Jene sollte man koscher kochen, also mit getrennten Pfannen und Essbesteck ans Werk gehen. Doch der Autor selbst streut immer mal wieder Parmesan über das Fleischige und stellt somit den Genuss über die Tradition.
Und damit schafft er es, jedem Genießer lange Zähne zu machen. So wird für die Schleckermäuler zum Beispiel die Mousse au chocolat mit Orangenblütenwasser zubereitet, und die Liebhaber des quinto quarto (Innereien) können sich mit Kutteln mit Minze oder Artischocken und Hirn im Backofen verwöhnen. Sogar jenen, die in der Küche einen Kompass benötigen, hilft der Autor mit einem „Mittagessen des betrogenen Ehemanns“ aus der Misere: „Ein Ehemann hatte damals keine Ahnung vom Kochen, und wenn sich seine Frau wegen anderweitiger Interessen keine Zeit fürs Kochen nahm oder die Lust verloren hatte, ihn zu verwöhnen, musste er sich mit schnell und leicht zu machenden Gerichten begnügen.“ Rigatoni mit Butter und Käse; Spaghetti mit Käse und Pfeffer; oder mit Knoblauch, Olivenöl und Peperoncino oder dünne Fleischstückchen in der Pfanne; das kann nun wirklich jeder!
Ein Grund mehr, dass auch die anderen erlebten Rezepte, die herzhaft, robust und ohne großes Tamtam daherkommen, nicht vergessen werden. Was der Autor ja beabsichtigte. kh
Puntarelle & Pomodori Die römisch-jüdische Küche meiner Familie Von Luciano Valabrega Verlag Klaus Wagenbach € 15,90