Die Stadt ohne

Juden, Ausländer, Muslime …

No. 02/2019

Seit seiner Eröffnung am 30. April 2015, dem 70. Jahrestag der Befreiung Münchens, hat sich das NS-Dokumentationszentrum der bayerischen Landeshauptstadt durch spannende Sonderausstellungen einen Namen gemacht. Das Zentrum zeigt in Kooperation mit dem Jüdischen Museum Augsburg Schwaben eine neue, sehr sehenswerte Wechselausstellung.

Verlassene Wohnung der Familie Szabo, Wien, April 1938, Identität und Adresse ­unbekannt, Wien Museum, Nachlass Robert Haas

Wie der Titel Die Stadt ohne. Juden Ausländer Muslime Flüchtlinge verrät, vergleichen Ausstellung und Katalog Antisemitismus, Verfolgung und Völkermord an den Juden vor 1945 mit aktuellen Tendenzen, in denen Juden, Ausländer, Muslime und Geflüchtete hierzulande ausgegrenzt und angefeindet werden. Die Ausstellungsmacher stellen die Frage, ob und inwiefern die historische Entwicklung, die zur Shoah führte, mit der Situation unserer Gegenwart verglichen werden kann, soll oder muss. Mirjam Zadoff, die Leiterin des NS-Dokumentationszentrums, zitiert hierzu Stefan Zweig aus Die Geschichte als Dichterin (1939): „Nein, die Geschichte wiederholt sich nie, sie spielt manchmal als souveräner Künstler mit Ähnlichkeiten …“

Der Titel der Ausstellung ist angelehnt an einen Stummfilm von 1924, der den Namen Die Stadt ohne Juden trägt. Er ist die Verfilmung eines gleichnamigen satirischen Romans des Wiener jüdischen Schriftstellers Hugo Bettauer (1872–1925), der 1922 erschien und sofort ein Bestseller wurde. Hintergrund des Buches ist der damals grassierende Antisemitismus in der österreichischen Hauptstadt. Ausgehend von einzelnen Filmsequenzen stellt die Ausstellung die Stufen des Ausgrenzungsprozesses dar: von der Polarisierung der Gesellschaft bis zur Vertreibung der Juden. Im Film kehren die Juden schließlich auf Bitten der nichtjüdischen Bevölkerungsmehrheit in ihre Heimatstadt zurück – die historische Wirklichkeit sah bekanntlich anders aus. 1925 etwa wurde Bettauer von einem jungen Nationalsozialisten ermordet.

Neben Exponaten wie antisemitischen Klebemarken, Flugblättern und Deportationslisten bis hin zu aktuellen Schöpfungen wie das menschenverachtende Spiel Progromly lösen in der Ausstellung auch die Aufnahmen menschenleerer Wiener Wohnungen des Fotografen Robert Haas große Beklemmung aus. Haas dokumentierte 1938 im Auf‌trag vertriebener jüdischer Familien deren Wohnungen. Es handelt sich um Erinnerungsstücke, die diese mit in ihr Exil nehmen wollten.

Der Begleitband zur Ausstellung mit knapp 30 Aufsätzen ist von 25 Autoren verfasst. Er deckt eine Fülle von historischen und gegenwärtigen T‌hemen ab. Die Autoren analysieren, wie Vertreter von Minderheiten, etwa Flüchtlinge, von rechtsradikalen Parteien und Gruppierungen zu Sündenböcken für gesellschaftliche Missstände gemacht werden und wie es zu einem schleichenden Empathieverlust und zu einer Brutalisierung der öffentlichen Debatten über Flüchtlinge kommt. T‌hematisiert wird auch ein um sich greifender neuer Antisemitismus in Europa und die geschürten Ängste vor „dem Islam“ durch rechte Parteien, wie der AfD. Erschütternd liest sich der Beitrag über die Ideologie der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU), die mit erschreckenden Taten und Zeugnissen längst Gegenwart ist. wr

Cover für Die Stadt ohneDie Stadt ohne. Juden Ausländer Muslime Flüchtlinge
Bis 10. November 2019
NS-Dokumentationszentrum München
Publikation zur Ausstellung
Hirmer Verlag € 19,90