Die Schuld der Überlebenden

No. 03/2022

Die meisten Kriege der Welt wurden im letzten Jahr im Raum Asien und Ozeanien verzeichnet. Wie wollen wir mit den Überlebenden umgehen? Der tamilische Autor Anuk Arudpragasam weiß eine Antwort: Wir schulden ihnen unsere ganze Aufmerksamkeit.

Fast 30 Jahre wütete der Bürgerkrieg auf Sri Lanka. Die buddhistischen Singhalesen setzten sich letztlich gegen die hinduistische Minderheit der Tamilen durch. Die UNO schätzt, dass in der Schlussphase des Kriegs zwischen 40 000 und 70 000 tamilische Zivilisten getötet wurden.

In Nach Norden liefert uns Anuk Arudpragasam sowohl einen politischen als auch einen philosophischen Roman. Auf der einen Seite schildert er die unzähligen Kriegsverbrechen der Regierung von Sri Lanka an den Tamilen. Auf der anderen zeigt er, wie wir mit Vergänglichkeit und Tod umgehen können.

Krishan, der Protagonist des Romans, fährt mit dem Zug von Colombo in das tamilische Kernland im Nordosten Sri Lankas. Dort möchte er der Beerdigung von Rani, der Pflegerin seiner Großmutter, beiwohnen. Während dieser Reise sinniert er über die Vergangenheit und Gegenwart seines Heimatlandes. Dabei treiben wir mit ihm in einem Fluss der Wörter dahin, der uns mit Liebe zum Detail und Empfindsamkeit umspült. Anfangs mögen wir ob seines überwältigenden Stils noch nach Luft schnappen. Doch schon bald sind wir in seinem Rhythmus und tauchen ein in einen Text, der sich unter anderem auf Sanskritübersetzungen und buddhistische Lyrik stützt und dabei die Kultur Sri Lankas und Indiens offenbart.

Anuk Arudpragasam wurde 1988 geboren, wuchs in Colombo auf und lebt als Doktor der Philosophie abwechselnd in Sri Lanka und Indien. Nach Norden ist sein zweiter Roman. Für sein Debüt Die Geschichte einer kurzen Ehe erhielt er 2017 den DSC Prize for South Asian Literature. kh

Nach NordenNach Norden
Roman
von Amuk Arudpragasam
Aus dem Englischen übersetzt
von Hannes Meyer
Gebunden, 320 Seiten
Hanser Berlin € 25,-