„Das ist nicht für unsereins“

No. 01/2020

In seinem Roman Wie wir gehen erzählt Andreas Neeser von Mona, die einen späten Versuch wagt, ihrem Vater nahezukommen. Er spricht seine Erinnerungen für sie auf ein Diktiergerät, auf 47 Minuten beschränkt. Als er damit fertig ist, gilt es eigentlich, das Gesagte abzuhören, zu beurteilen und zu verarbeiten. Doch dazu kommt es nicht: Denn immer wieder holt Mona die Gegenwart ein, die nicht minder unberechenbar ist als die Vergangenheit und die Protagonistin gleich auf mehreren Ebenen fordert.

Ihre eigene pubertierende Tochter fremdelt, unschlüssig schwankt sie zwischen dem Drang nach Autonomie und der Erwartung, ungeteilte Aufmerksamkeit zu bekommen. Gemeinsame Spaghetti-Abende müssen oft ausreichen, um Vertrautheit zu schaffen. Der Exmann entpuppt sich als Rassist, wird immer feindseliger, bis jegliche Kommunikation im Keim erstickt. Daneben drängt die Arbeit als Übersetzerin, die Zeit frisst und zugleich an den Nerven zerrt. Und dann gibt es noch Salim, der aus Syrien geflüchtet ist und auf seine Liebe wartet. Sein Kopf ist nicht frei genug, um neue Worte einer fremden Sprache aufzunehmen.

Dazwischen drängt sich immer wieder die Geschichte des Vaters, der seine Jugend als Verdingbub auf dem Bauernhof des Onkels fristete und lange nicht daran glaubte, eigene Ziele zu haben. Kleine Schritte sind es, die ihn in ein Leben führten, das endlich selbst gewählt ist. Dennoch hält er zeitlebens daran fest, nicht zu viel wollen zu dürfen: „Das ist nicht für unsereins.“ Diesen Satz gibt er zwar an die nächste Generation weiter, doch schwindet die Überzeugung auf halber Strecke. Was bleibt, ist der Einfluss der Vergangenheit auf die Gegenwart, der Weg, den Vater und Tochter gehen, wenn eine Beziehung zwar gegeben ist, aber gemeinsame Inhalte gänzlich fehlen und zwischen zwei Umarmungen Jahrzehnte liegen.

Andreas Neeser bedient sich einer kraftvollen Sprache, die die Nuancen genau austariert. Während er die Ereignisse oft nüchtern beschreibt, streut er plötzlich Worte und Bilder ein, die poetisch anmuten und auch den schmerzlichsten Momenten Schönheit geben. la

Wie wir gehen
Roman
Von Andreas Neeser
Gebunden, 216 Seiten
Haymon Verlag € 17,90