Befreit

Charlotte Berend-Corinth

No. 01/2022

„Ich will alles malen, was ich will und wie ich es will“, notierte Charlotte Berend-Corinth 1930 in ihr Tagebuch, fünf Jahre nach dem Tod ihres Mannes Lovis Corinth. Für sie begann eine Zeit der künstlerischen Neuorientierung, mit Reisen und der Findung unkonventioneller Bildthemen. Das Leben und Werk dieser beinahe in Vergessenheit geratenen Malerin ins Licht zu rücken, hat sich der reich bebilderte und lesenswerte Band Charlotte Berend-Corinth zur Aufgabe gestellt.

Charlotte Berend-Corinth, Selbstbildnis mit Modell, 1931, Nationalgalerie Berlin © Michael Hecker, Danville, USA

Als Charlotte Berend (1880–1967), aus einer wohlhabenden Berliner Kaufmannsfamilie stammend, 1898 an der Staatlichen Kunstschule Berlin als eine von zwei weiblichen Studentinnen aufgenommen wurde, war dies damals die Ausnahme. Ebenso ihre Teilnahme am Aktzeichnen in den „Herrenklassen“ der Malschule des Kunstgewerbemuseums, die sie im Anschluss besuchte. 1901 bewarb sie sich selbstbewusst an der von Lovis Corinth neugegründeten Malschule für Akt und Porträt und wurde dessen erste Schülerin. Im Jahr darauf avancierte sie nicht nur zu seinem bevorzugten Modell, sondern wurde 1904 auch seine Ehefrau und Managerin. Entgegen manch anderen Künstlerehefrauen hielt sie nach ihrer Heirat an der Entwicklung ihres eigenen Schaffens fest. Mit Werken wie Die schwere Stunde – eine nach Max Liebermann „gewagt“ dargestellte Geburtsszene – feierte sie in den 1910er Jahren als Malerin erste Erfolge in den Ausstellungen der Berliner Secession, in die sie neben Käthe Kollwitz als eine der wenigen weiblichen Mitglieder aufgenommen wurde. 1924 wurde Berend-Corinth in den Vorstand der Berliner Secession gewählt und engagierte sich als Teil eines modernen und international orientierten Künstlernetzwerkes. Zu einer Zeit, in der sie sich künstlerisch zunehmend vom Einfluss Corinths emanzipierte, entstand 1927 das lebensgroße Aktporträt Der Boxer, in dem sie die bis dahin klassische Rollenverteilung des passiven weiblichen Aktmodells und aktiven männlichen Künstlers ins Gegenteil verkehrt. Auch das Selbstbildnis mit Modell von 1931 offenbart ihr neues Selbstverständnis als Künstlerin: souverän, mit einem weiblichen Aktmodell an ihrer Seite, ohne erkennbare Hierarchie zwischen den beiden Dargestellten. Als Jüdin sah sich Berend-Corinth gezwungen, 1939 vor dem Naziregime in die USA zu emigrieren, wo sie 1967 starb. Viele ihrer Werke gelten als verschollen, so ist der vorliegende Band, der nur durch detektivische Recherchearbeit vieler Beteiligter entstehen konnte, als umso kostbarer zu werten. um

Cover für Charlotte Berend-CorinthCharlotte Berend-Corinth
Hrsg. von Andrea Jahn,
Saarlandmuseum - Moderne Galerie
192 Seiten, 100 Abbildungen in Farbe
Text: Deutsch / Englisch
Hirmer Verlag € 29,90