„Als habe er das Bild aus dem Spiegel gestohlen“

Der Porträtmaler Johann Georg Edlinger

No. 04/2020

Den Vergleich zu den großen Porträtmalern seiner Zeit braucht er nicht zu scheuen, im Gegenteil: Der Wahlmünchner Johann Georg Edlinger (1741–1819) war wegen seiner treffenden und ungeschönten Porträts ein gefragter Maler, dessen Ruf um 1800 weit über die Stadt hinausreichte.

Johann Georg Edlinger, Maria Theresia von Hofstetten, geb. von Soyer (Detail), um 1790/95, Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau, München

Ob anmutig oder hochmütig, geistreich oder schlichten Gemüts, selbstbewusst, misstrauisch oder atemberaubend schön – im Laufe von rund fünf Jahrzehnten hielt Edlinger hunderte Persönlichkeiten der Münchner Stadtgesellschaft aus allen Ständen in ihrem individuellen Ausdruck und Charakter fest: Mitglieder der kurfürstlichen Familie und des Adels, Hofbedienstete und prominente Bürger bis hin zu Tagelöhnern und Armenhäuslern. Edlingers künstlerisches Interesse galt ausschließlich der natürlichen Darstellung der Physiognomie seiner Modelle, ohne ein gängiges Schönheitsideal zu bedienen. Einäugige wurden einäugig gemalt, schütteres Haar, Warzen, Falten nicht gnädig verschwiegen, Charaktereigenschaften, die sich ins Gesicht gegraben hatten, bannte er auf die Leinwand.

Diese Porträts aus der Zeit vor der Fotografie versammeln sich in dem Bildband zu einzigartigen Zeitzeugnissen, die mit akribisch recherchierten Hintergrundinformationen ergänzt und im stadthistorischen Kontext verankert werden, wie die Geschichte von Mathias Kneißl. Er war einer der bedürftigen Hochbetagten, denen Kurfürst Karl Theodor am Gründonnerstag 1792 in der Münchner Residenz im Rahmen der vorösterlichen Liturgie die Füße wusch und die er beschenkte. Die Prozedur war der Höhepunkt im Leben der Auserwählten – was man dem selig lächelnden Gesichtsausdruck des Porträtierten durchaus entnehmen kann. Der Band über den Werdegang Edlingers, sein Œuvre und dessen Rezeptionsgeschichte verspricht ein Standardwerk über die Porträtmalerei im Bayern der Aufklärung zu werden. um

Cover für Johann Georg EdlingerJohann Georg Edlinger
Porträts ohne Schmeichelei
Von Brigitte Huber
192 Seiten, 280 Farbabbildungen
Hirmer Verlag € 39,90