Zwischen Melancholie, Pathos und Selbstzweifel

Selbstbildnisse der Expressionisten

No. 03/2021

Sie wollten „neue echte Ideen“ verwirklichen und sahen ihre Kunst als Motor für gesellschaftliche Veränderungen. Die Akteure der Brücke und des Blauen Reiters repräsentieren eine Künstlergeneration, die Anfang des 20. Jahrhunderts die Malerei revolutionierte. Von außen sah man meist mit Ablehnung oder Skepsis auf sie, wie aber sahen sich die Protagonisten selbst?

Ludwig Meidner, Der Selbstmörder, 1912, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München, Pinakothek der Moderne © Ludwig Meidner-Archiv, Jüdisches Museum der Stadt Frankfurt am Main

„… als Jugend, die die Zukunft trägt, wollen wir uns Arm- und Lebensfreiheit verschaffen gegenüber den wohlangesessenen, älteren Kräften“, schnitt Ernst Ludwig Kirchner als eine der programmatischen Grundsätze der Brücke in Holz, und im Almanach des Blauen Reiters heißt es: „Neue Ideen sind nur durch ihre Ungewohntheit schwer verständlich.“ Beide Gruppen deckten sich in ihren Kerngedanken: Ihre Kunst, geprägt durch eine Malweise voll intensiver, kontrastreicher Farbigkeit und spontaner Gesten, spiegelte ihren subjektiven und neuen Blick auf die zu verändernde Welt. Voraussetzung für die Erneuerung war die Unabhängigkeit der Kunst und die Befreiung vom akademischen Ausbildungs- und Ausstellungsbetrieb. Losgelöst von den gängigen Strukturen versuchten sie – nun mehr auf sich selbst gestellt – neue Kontakte zu knüpfen, denn ohne Unterstützer wie den Sammler Bernhard Köhler oder den Galeristen Herwarth Walden waren Ausstellungen und Verkäufe ihrer Bilder nicht zu realisieren.

Der bibliophil gestaltete Band Ich bin mein Stil, dessen Titel sich aus einem Zitat von Paul Klee ableitet, zeigt neben Auszügen aus Briefen und Tagebüchern, Programmen und Streitschriften vor allem Selbstporträts der Künstlerinnen und Künstler und die Bildnisse, die sie gegenseitig von sich anfertigten. Die unterschiedlichen Ergebnisse ihrer Selbstreflexion und -inszenierung zwischen 1902 und 1923 erzählen von ihren Zweifeln, Unsicherheiten, aber auch vom neuen Selbstverständnis als unabhängige Kunstschaffende, das mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges erschüttert wurde: Aus vormaligen Visionären wurden kritische Beobachter. um

Cover für Ich bin mein StilIch bin mein Stil
Künstlerbildnisse im Kreis von Brücke und Blauem Reiter
Hrsg. von Cathrin Klingsöhr-Leroy
Premiumausgabe:
Schutzumschlag
152 Seiten, 109 Farbabbildungen
Hirmer Verlag € 34,90