Fresko-Kunsträtsel

No. 03/2021

Wer bin ich?

Wird in einem Kind, das den Namen seines verstorbenen Bruders bei der Geburt erhält, nicht automatisch der Wunsch geweckt, sich zu jemand ganz Besonderen zu entwickeln, sozusagen „Das Original“ zu werden? Im frühen Kindesalter hielt ich mich am liebsten auf dem Dachboden auf, hing meinen (Alb)träumen nach und muss für meinen strengen Vater eine rechte Enttäuschung gewesen sein. In dieser Zeit formte sich mein Berufswunsch: Ich wollte Napoleon werden. Wenig später die Steigerung: Ich wollte ich selbst werden, großartig, erfolgreich und unverwechselbar. Auch wenn sich viele Kunstinteressierte, Kollegen, Kunsthändler und -kritiker über mich echauffiert haben, mussten sie doch am Ende einräumen, dass es mir gelungen ist. Als ich wenige Monate vor meinem 85. Geburtstag starb, gab es kaum einen zeitgenössischen Künstler, der es mit meiner Bekanntheit und meinem Erfolg aufnehmen konnte, ja, man könnte es so ausdrücken: Ich war „die erhabenste Persönlichkeit“. Fand ich jedenfalls. Und um mich herum? Alles Stümper. Seit Raffael, meinem großen Vorbild, gab es eigentlich kaum ein Malergenie, mich natürlich ausgenommen. Man könnte glauben, dass ich durch meine, sagen wir, Selbsteingenommenheit ein ungeliebter Gesellschafter für andere war. Aber im Gegenteil, ich war unterhaltsam, gebildet, exzentrisch und bunt, gab gerne für die Fotografen den Clown – einen sehr gutaussehenden Clown selbstverständlich – egal wo ich auftauchte, brachte ich Schwung in die Bude. Schon als junger Maler verlieh ich einer Künstlergruppe, die bereits fünf Jahre, bevor ich hinzustieß, bestand und etwas an Dynamik verloren hatte, neuen Glanz und Inspiration. Mit meiner Begeisterungsfähigkeit, dem Hang zum Absurden und meiner überbordenden Fantasie eröffnete ich ihnen neue Wege. Mein Talent zur Selbstdarstellung ging der Gruppe bald gewaltig auf die Nerven, am meisten ärgerten sie sich darüber, dass sich meine Bilder durch meine guten Verbindungen bis nach Amerika hervorragend verkaufen ließen und ich mich auf dem Parkett der High Society sicher bewegte. „Er hört nur noch das Quietschen seiner Lackschuhe“, spotteten meine ehemaligen Weggefährten. Aber während der eine oder andere aus diesem Kreis längst vergessen ist, habe ich Kunstgeschichte geschrieben – wer bin ich?

Wer bin ich?
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Einsendungen an: fresko1@hirmerverlag.de
Einsendeschluss am 20. November 2021
Auflösung des Kunsträtsels aus Fresko 02/2021: 
Bartolomé Esteban Murillo (1618–1682)