Zwei Schwestern, zwei Welten

No. 03/2021

Donatella Di Pietrantonio wurde in den Abruzzen geboren und lebt heute in der Nähe von Pescara. Erst vor zehn Jahren begann sie zu schreiben. Mit Arminuta ist ihr 2018 der internationale Durchbruch gelungen, mit Borgo Sud wurde sie für den höchsten italienischen Literaturpreis nominiert. Darin erzählt sie die Geschichte der zwei Schwestern weiter, die im ersten Band ihren Anfang nimmt.

Während Arminuta, die große Schwester, geheiratet hat und erfolgreich an der Universität in Grenoble unterrichtet, schlägt sich die kleine, Adriana, in der Hafenstadt Pescara mit Gelegenheitsjobs durch, liebt den Fischer Rafael, bekommt ein Kind. Als Arminuta einen Anruf erhält, dass ihre jüngere Schwester vom Balkon gestürzt ist und auf der Intensivstation liegt, verlässt sie zum ersten Mal seit langer Zeit ihr neues Zuhause und macht sich auf den Weg.

Was wirklich mit Adriana passiert ist, scheint jeder im Viertel zu wissen und doch möchte sich niemand der Älteren anvertrauen. Auf ihrer Reise erinnert sie sich an ihre gemeinsame Kindheit und jene prägenden Ereignisse, denen ihrer beider Lebensentwürfe zugrunde liegen. Während die eine forsch und wild ist und die andere zurückhaltend und verschlossen, gibt es doch Ähnlichkeiten in ihrer Entwicklung, vielleicht auch nur in ihrem Schicksal. Bei beiden enden die Beziehungen auf tragische Weise. Arminuta, die den wohlhabenden Pietro geheiratet hat, muss erfahren, dass dieser Männer liebt. Adrianas Rafael verändert sich unter den Lügen, den Tabus und nicht zu erfüllenden Erwartungen seiner Umgebung. Mit einem Mangel an Zuneigung aufgewachsen, müssen die Schwestern die schmerzliche Erfahrung machen, dass sie die erhoffte Liebe auch hier nicht gefunden haben.

Mit viel Empathie und großer Kraft beschreibt Di Pietrantonio nicht nur die komplizierte Beziehung zwischen zwei Frauen, sondern auch ein gänzlich unbekanntes Italien, das aus vielen Gegensätzen besteht und neben all seiner Wärme sehr archaisch daherkommt. Hier ist die Umgebung nicht nur Kulisse, sondern spiegelt auch seine Bewohner*innen und ihre Gefühlswelten wider. Und doch, trotz aller Härte und Tragik, ist es eine große Liebeserklärung. An die Abruzzen, aber auch jene Bindungen, die wir uns nicht vollumfänglich aussuchen können. la

Borgo Sud
Roman von Donatella Die Pietrantonio
Aus dem Italienischen übersetzt von
Maja Pflug
224 Seiten
Verlag Antje Kunstmann € 20,-