Vom Weltruf zum Nachruf

Die Fotografinnen Nini und Carry Hess

No. 03/2021

1913 gründeten Nini und Carry Hess in Frankfurt am Main ein Fotostudio, das bald einen renommierten Kundenstamm zählte, aufgrund ihrer jüdischen Herkunft jedoch 1938 in der Reichspogromnacht vernichtet wurde. Anhand von 120 Vintage-Prints hat das Museum Giersch der Goethe-Universität das in Vergessenheit geratene Leben und Werk der Schwestern rekonstruiert und die Fotografiegeschichte um einen wichtigen Beitrag bereichert.

Nini & Carry Hess, Mary Wigman in „Die sieben Tänze des Lebens“, 1921, Theaterwissenschaft­liche Sammlung, Universität zu Köln

„Es ist keine Kleinigkeit, nervöse und labile Künstler wesensgetreu auf die photographische Platte zu bannen …, aber Nini und Carry wurden damit fertig“, schrieb die FAZ am 26. Januar 1952 anlässlich eines Besuchs von Carry Hess in Frankfurt am Main, der Stadt, in der sie alles verloren hatte: ihre Schwester Nini, die nach Auschwitz deportiert wurde, ihrer beider Bildarchiv und ihr gemeinsames Fotoatelier im fünften Stock eines repräsentativen Geschäftshauses in der Börsenstraße 2, das sich zum kulturellen Zentrum von Frankfurt entwickelt hatte. Alles, was in der Zeit von 1913 bis 1933 Rang und Namen hatte, trat damals vor die Kamera von Nini und Carry Hess: Künstler wie Max Beckmann und Margarete Schütte-Lihotzky, Literaten wie Thomas Mann und Annette Kolb, Schauspieler wie Schabtai Prudkin und Ellen Daub, Wissenschaftler wie C. G. Jung oder Alfred Döblin und Tänzerinnen wie Mary Wigman und Irene Weill. Die entstandenen Porträts, Theater-, Tanz- , Akt-, und Architekturfotografien fanden in Zeitungen, Illustrierten und Büchern eine rasante Verbreitung und prägten den Stil einer Epoche, in der vor allem die Frau einen neuen Auftritt hatte: als Geschäftsinhaberin, Ärztin, Studentin oder Florettfechterin, mit Bubikopf, Herrenhut und Zigarette, vor allem aber mit freier Lebenshaltung.

Dem Fotohistoriker Eckhardt Köhn sowie der Kunsthistorikerin Susanne Wartenberg vom Museum Giersch der Goethe-Universität samt Team ist es zu verdanken, dass an Nini und Carry Hess wieder erinnert wird. Die Ergebnisse ihrer langjährigen Recherche- und Forschungsarbeit in Archiven, Museen und Privatsammlungen publizierten sie in der reich bebilderten Publikation Die Fotografinnen Nini und Carry Hess, die das Lebensprojekt der beiden Schwestern in ein Licht rückt, das weit über ihr Atelier hinausstrahlt. af

Cover für Die Fotografinnen Nini und Carry HessDie Fotografinnen Nini und Carry Hess
Ausstellung Herbst/Winter 2021/2022
im Museum Giersch der Goethe-Universität
Publikation
Hirmer Verlag € 39,90