Verdammte Lust!

2000 Jahre Katholische Kirche und Sexualität in der Kunst von da Vinci bis Pierre et Gilles

No. 01/2023

„Er meint es ernst“, sagte der Leiter des Diözesanmuseums Christoph Kürzeder seinem Team nach einem Treffen mit Reinhard Kardinal Marx im Jahr 2018. Dessen Idee, das Verhältnis von katholischer Kirche und Sexualität der vergangenen 2000 Jahre in einer Kunstausstellung aufzurollen, ist nun Realität geworden. Verdammte Lust! heißt die illustre wie mutige Schau, mit der die Erzdiözese München und Freising im oft fragwürdigen Umgang mit der menschlichen Körperlichkeit und seinen Begehrlichkeiten ein neues Signal setzt, denn, so der Kardinal: „Es ist um der Menschen willen an der Zeit, eine lebensdienliche Moral und Lehre weiterzuentwickeln, die auf der Höhe der gegenwärtigen Debatten die Menschenfreundlichkeit Gottes verkündet.“

Francesco Cairo, Entrückung der Hl. Maria Magdalena, um 1650, Mailand, Sammlung Gastaldi Rotelli

Über 150 Exponate von herausragender Qualität heizen auf dem Domberg die Debatte um die Sexualität an. Es ist eine „Sacra Conversazione“, eine Zusammenkunft von Heiligen der besonderen Art, die Künstlerhände in ganz Europa geschaffen haben – von der Antike bis zur Gegenwart, von Leonardo da Vinci über Tintoretto, Lucas Cranach und Jan Polack bis hin zu Artemisia Gentileschi, Guido Reni und Pierre et Gilles, die in ihren Werken die Grenzen des Darstellbaren ausloteten: steile Perspektiven zwischen Askese und Ekstase, Liebe und Lust, Moral und Sex, von Adam und Eva in unbefangener Nacktheit über Maria und Christus in göttlicher Vollkommenheit hin zu verführerischen Heiligen, die sich (kirchliche) Auftraggeber in delikaten Inszenierungen wünschten und die u. a. in Geheimkabinetten verschwanden. Dazu zählen erotische Szenen von Maria Magdalena mit hingegossenem Leib oder Sebastian, der Adonis gleich bei seinem Martyrium mehr hingebungsvoll denn schmerzvoll gen Himmel blickt, während sich Franziskus im Rosenstrauch wälzt, um die Fleischeslust abzutöten, die bei Antonius Teufelsgestalt annimmt und andere überwältigt.

Sagen, was ist, oder treffender: Farbe bekennen zur ganzen Bandbreite christlicher Kunst leitete die Ausstellungsmacher bei der Konzeption von „Körperschau“ und Begleitkatalogen, die sittsame und sündige, sinnliche und lustvolle, freizügige und verbotene Blickwinkel der europäischen Kunst freisetzen, anhand von Malerei und Grafik, Skulptur, liturgischen Geräten, Schmuck, Votivgaben und Bußwerkzeugen, Büchern und Archivalien, Fotografie und Film Kulturgeschichte erzählen und brisante Themen wie Zölibat, Machtmissbrauch sowie die zeitgemäße Rolle der Frau in der Kirche auf den Tisch bringen. af

Verdammte Lust
Kirche. Körper. Lust.
Bis 29. Mai 2023
Diözesanmuseum Freising

Katalog zur Ausstellung
Hirmer Verlag
Katalogband € 49,90, Essayband € 39,90, Paket € 80,-