Erste Einzelausstellung zu Toyen

Gewinnspiel mit Traum, Revolte, Erotik und Poesie

No. 03/2021

Im Oktober 2020 wurde im Prager Auktionshaus Adolf Loos das Gemälde Pik Dame der tschechischen Malerin Toyen (1902–1980) von 1926 versteigert. Nach einem spannenden Bietergefecht zwischen mehreren Interessenten fiel der Hammer bei 65 Millionen Kronen. Der private Käufer aus New York zahlte einschließlich der Auktionsgebühr 78,65 Millionen Kronen, was 2,91 Millionen Euro entspricht. Dies war in doppelter Hinsicht ein Rekord: Zum einen handelte es sich um das teuerste, jemals in Tschechien versteigerte Kunstwerk, zum anderen um den höchsten Preis, der je für ein Gemälde von Toyen bezahlt wurde. Vladimír Lekeš, der Direktor des Auktionshauses, sagte: „Ich muss zugeben, dass wir eine solche Summe nicht erwartet haben – obwohl es sich um ein herrliches Gemälde handelt.“

Toyen, Im Schloss La Coste, 1943, National Gallery in Prague © VG Bild-Kunst, Bonn 2021, Foto: © National Gallery Prague 2021

Hinter dem Künstlernamen Toyen verbirgt sich Marie Čermínová, die als starke Frau unter den Surrealisten und als bedeutendste tschechische Künstlerin des 20. Jahrhunderts gilt. Sie selbst legte keinen Wert auf geschlechtliche Zuordnungen, wie dies durch den Vornamen und im Tschechischen auch durch die feminine Form der Familiennamen erfolgt. Der tschechische Literaturnobelpreisträger Jaroslav Seifert dachte sich ihr geschlechtsneutrales Pseudonym „Toyen“ aus, welches sich von dem französischen Wort „citoyen“, also Bürger oder Bürgerin, ableitet.

Toyen verbrachte etwa die Hälfte ihres Lebens in ihrer Heimatstadt Prag, der „magischen Hauptstadt Europas“, und in ihrer Wahlheimat Paris, der Metropole der Avantgarde. Von 1925 bis 1929 lebte sie zum ersten Mal in Paris, danach folgten wiederholte Arbeitsbesuche. Sie pflegte freundschaftliche Kontakte zu André Breton und Paul Éluard, den wichtigsten surrealistischen Dichtern. Breton feierte sie für ihr malerisches und zeichnerisches Werk und nannte sie „mon amie entre les femmes“. In Paris lernte sie surrealistische Künstler wie Max Ernst, Yves Tanguy, Salvador Dalí und Man Ray kennen, verfolgte aber künstlerisch stets einen eigenständigen Weg. Nach ihrer Rückkehr nach Prag beteiligte sie sich 1934 als einzige Frau an der Gründung der tschechoslowakischen Surrealistengruppe. Während der deutschen Besatzung Prags von 1939 bis 1945 war Toyen in zweifacher Hinsicht gefährdet. Einerseits als Künstlerin, die nach NS-Maßstäben als „entartet“ galt und nicht mehr öffentlich arbeiten konnte, andererseits, weil sie einen jüdischen Dichter und Maler, Jindřich Heisler, in ihrer Wohnung versteckte. 1947, wenige Monate vor der kommunistischen Machtübernahme, siedelte sie endgültig nach Paris über. Die Tschechoslowakei hat sie bis zu ihrem Tod 1980 nie wieder besucht.

Die Bedeutung von Traum, Revolte, Erotik und Poesie steht im Fokus von Toyens Werk. Ihr beeindruckendes Œuvre ist in Deutschland bislang kaum bekannt. Die Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle in Kooperation mit Prag und Paris und der reich illustrierte und umfangreiche Katalog werden dies ändern. Gezeigt werden über 300 Exponate aus allen Schaffensperioden, darunter etwa 120 Gemälde sowie Zeichnungen, Grafiken und eine Vielzahl von Fotografien und persönlichen Dokumenten. Experten und Expertinnen machen in zahlreichen Essays mit Leben und Werk der Künstlerin vertraut und präsentieren neueste Forschungsergebnisse. wr

Cover für TOYENToyen
Bis 13. Februar 2022
Hamburger Kunsthalle
Katalog zur Ausstellung
Hirmer Verlag € 45,-