Tempozone
Frankreich, Kunst und Automobil
No. 01/2025
Gerade in Frankreich verzeichnete das Automobil in der Zwischenkriegszeit einen unvergleichlichen Erfolgskurs, der weitaus größere Kreise zog als nur schnelle Reifen und ein schnittiges Chassis. Nicht nur Fahrzeugentwickler beschäftigten sich damit, sondern kreative Netzwerke aus Kunst, Mode, Architektur und Design wurden animiert, interdisziplinär zu arbeiten. Das Ergebnis kann sich im Saint Louis Art Museum sehen lassen: Über 100 ausgestellte Exponate aus Kunst, Mode, Architektur und Design zeugen von einem ausgesprochenen Sinn für Ästhetik, handwerklichen Glanzleistungen und kühnen Visionen.

Alfa Romeo 6C 1750 Spider, 1930, designed by Ugo Zagato, Foto: Peter Harholdt
Die „Roaring Twenties“ – die wilden Zwanziger – sind ein stehender Begriff, in Frankreich heißen sie „les années folles“ – die verrückten Jahre – und im deutschsprachigen Raum die „Goldenen Zwanziger“. Zwischen wild, verrückt und golden präsentierte sich auch das Zeitalter im Westen nach dem Ersten Weltkrieg, als die Wirtschaft zunächst einen rasanten Aufstieg verbuchte, bevor sie mit dem New Yorker Börsencrash 1929 von einer Abwärtsspirale erfasst wurde, die 1939 mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs einen neuen Tiefpunkt erreichte.
Robert Delaunay, Eiffelturm, 1924, Saint Louis Art Museum, Foto: Saint Louis Art Museum
Sie alle verschrieben sich dem Automobil: Ettore Bugatti, der 1909 seine Produktion startete und mit etlichen Rennwagen Erfolge feierte; André Citroën, der nach Fahrzeuglieferungen im Ersten Weltkrieg 1919 den ersten europäischen Serientyp Citroën vom Band laufen ließ; oder Alfa Romeo mit Anfängen in 1910 und allerhand Potenzial, die Marktführung zu übernehmen, wie der amerikanische Autojournalist Ken W. Purdy witzelte: „Ein Bugattiste, selbst ein erfahrener Bugattiste, wird mit einem Alfa Romeo-Besitzer auf nahezu gleicher Augenhöhe sprechen.“ Dass dieses Trio, dessen Fahrzeugmodelle als Objekte im Saint Louis Art Museum in stattlicher Anzahl vorgestellt werden, im fruchtbaren Austausch mit Künstlern der Avantgarde stand, zeigen etliche Gemälde, Fotografien, Drucke, Plakate, Möbel, Leuchten, Architekturpläne, Mode und Textilien, darunter die Visualisierungen von Technik und Tempo in der Malerei etwa von Robert Delaunay und Georges Braque, die Neue Frau am Steuer am Beispiel von Tamara de Lempickas Selbstporträt im grünen Bugatti, der Einzug des Automobils in der Modefotografie wie der Vogue, für die Colette Salomon mit weißer Fahrhaube im Coupé posierte, Luxusartikel wie das krokodillederne Beautycase von Hermès eigens für Automobilisten oder Entwürfe für ein massentaugliches Fahrzeug wie das Voiture Minimum von Le Corbusier, das in die autogerechte Stadt perfekt passte und immer noch passt. af
Roaring. Art, Fashion, and the Automobile in France, 1918–1939 Hrsg. von Genevieve Cortinovis Text: Englisch 208 Seiten, 260 Abbildungen Hirmer Verlag € 49,90