Radikal modern

Edvard Munch und seine Berliner Zeit

No. 03/2023

Der norwegische Maler Edvard Munch (1863–1944) zählt europaweit zu den frühesten, bedeutendsten und einflussreichsten Künstlern des Expressionismus. Seine oft symbolistisch verschlüsselten, psychologisch zu deutenden Werke machen ihn zu einem der radikalsten Vertreter der Klassischen Moderne. Sie stellen die emotionalen Erfahrungen des Menschen von der Liebe bis zum Tod dar.

Edvard Munch, Tanz am Strand (Linde-Fries), 1904, Foto: © MUNCH, Oslo/Halvor Bjørngård

Munchs Schaffen wurde zunächst vom Publikum und von den meisten Kritikern nicht verstanden und vehement abgelehnt. Doch bald schieden sich die Geister: Diejenigen, die der Moderne gegenüber aufgeschlossen waren, priesen ihn als Wegbereiter des Neuen, während er bei Konservativen wegen seiner farbgewaltigen Kompositionen und oft pessimistischen Bildaussagen, die Lebensangst, Tod und Trauer thematisieren, weiterhin nicht gelitten war. Von den Nationalsozialisten als „entartet“ gebrandmarkt, zählt er heute zu den in der Publikumsgunst ganz oben stehenden Künstlern, seine Werke erzielen auf dem Kunstmarkt Rekordpreise.

Eine aktuelle Ausstellung in der Berlinischen Galerie zeigt die Geschichte von Munch und Berlin. Die deutsche Reichshauptstadt wurde für Munch zum Schicksalsort. Hier fand auf Einladung des Vereins Berliner Künstler im November 1892 eine Einzelausstellung mit 55 Werken des damals 29-Jährigen statt, die ihn schlagartig bekannt machte – allerdings zunächst im negativen Sinne. Die gezeigten Arbeiten wurden vom Großteil des Publikums und von den meisten Zeitungskritikern als unerhörte Zumutung und anarchistische Provokation empfunden. Der bis dahin größte Skandal in der deutschen Kunstwelt führte dazu, dass die anstößige Ausstellung auf Betreiben des erzkonservativen Direktors der Hochschule der bildenden Künste, Anton von Werner, nach nur wenigen Tagen geschlossen wurde. Munch jedoch genoss dieses Aufsehen und ließ sich in Berlin nieder, wo er bis 1908 mit Unterbrechungen lebte und auch später immer wieder ausstellte, so etwa 1927 in einer Retrospektive der Nationalgalerie. Er übte großen Einfluss auf die Berliner Kunstszene aus, der er stilistisch und thematisch weit voraus war. Hier erfuhr er aber auch Förderung, etwa durch Harry Graf Kessler und Walther Rathenau, die er porträtierte, und konnte sein Werk weiterentwickeln. Munch hat die ungeheure Zahl von fast 1800 Gemälden hinterlassen. Wieviel davon in Berlin entstanden sind, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen, da er häufig reiste und die Sommer in seiner Heimat verbrachte.

Durch Munch erfuhr das von Stefan Zweig geprägte Schlagwort „Zauber des Nordens“ einen Bedeutungswandel in der bildenden Kunst. Waren bis dahin zumeist naturalistische Fjordlandschaften gemeint, wie sie etwa Kaiser Wilhelm II. liebte, der alljährlich auf Norwegenfahrt ging und das Reisen dorthin populär machte, so verband man damit nun Munchs psychologisch durchdachte Bildwelten. Nicht selten hat man Munchs Werk auch mit den Theaterstücken von Henrik Ibsen und August Strindberg in Beziehung gesetzt, denen es darum ging, das Leben und seine Konflikte ungeschönt auf die Bühne zu bringen. 1927 pries der Direktor der Nationalgalerie, Ludwig Justi, den Maler: „Munch steht als Maler in der vordersten Reihe der Lebenden, seine Kunst ist ein überzeugender Ausdruck des Empfindens und Formgefühls unserer Zeit.“ wr

Edvard Munch. Zauber des Nordens
Bis 22. Januar 2024
Berlinische Galerie, Berlin

Katalog zur Ausstellung
Hg. Stefanie Heckmann, Thomas Köhler, Janina Nentwig
Deutsch- und englischsprachige Ausgabe
Hirmer Verlag € 49,90