Nichts ist, wie es scheint

Ereignisse jenseits der Vorstellungskraft

No. 02/2015

Auch wenn Lichtwesen in Tom Drurys neuem Roman Das stille Land eine entscheidende Rolle spielen, so kommt das wirkliche Leben nicht zu kurz. Unaufgeregt und einfühlsam verwebt der Au­tor den Alltag der Hinterwäldler im Nordosten Iowas mit einem Thriller, in dem nichts ist, wie es scheint.

Pierre Hunters geht aufs College, als seine geliebten Eltern sterben: „Für ihn waren sie immer noch am Leben. Das Problem türmte sich bedrohlich auf … Er hatte das Gefühl, es gäbe noch etwas, was er tun könnte, wenn ihm nur einfallen würde, was.“ Als er kurz darauf in sein Heimatstädtchen zurückkehrt, erwartet ihn eine Kette befremdlicher Ereignisse. Beim Schlittschuhlaufen bricht er plötzlich ins Eis ein und wird von der schönen, aber merkwürdigen Stella Rosmarin gerettet. Ihr lapidarer Kommentar „Ich habe gewartet … um dich aus dem Wasser zu ziehen“, gibt bereits eine Vorahnung darauf, dass hier nicht alles mit rechten Dingen zugeht, dass sie zu den Figuren gehört, die über Belangloses sprechen und sich langweilen, dabei aber allmählich ihre Masken fallen lassen. Wie auch der Gegenspieler, den Pierre in einer aussichtslosen Situation mit einem Stein trifft, dabei ein kleines Vermögen findet und damit wiederum einen Rachefeldzug lostritt, der sein Leben für immer verändern wird.

„Manchmal geschehen Dinge, die dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik zu widersprechen scheinen, der besagt, dass alle Prozesse sich in Richtung Chaos entwickeln“, lautet der Kernsatz des 1956 in Iowa geborenen Tom Drury, der es meisterhaft versteht, die gewöhnlichen Menschen mit dem Außergewöhnlichen zu konfrontieren. Sein vierter Roman ist in wenigen Stunden gelesen, doch das Erzählte lässt einen tagelang nicht los. kh

Das stille Land
Von Tom Drury 
Klett-Cotta € 19,95