Lee Miller

Die vielen Leben einer Surrealistin

No. 02/2023

Zu den wenigen weltweit bekannt gewordenen Fotografinnen des 20. Jahrhunderts zählt die Amerikanerin Lee Miller, deren Werk so vielseitig ist wie die Brüche in ihrem Leben.

Lee Miller, Fire masks, London 1941, © Lee Miller Archives England 2022

Lee Miller (1907–1977) begann ihre Karriere als Model bei der amerikanischen Vogue, setzte sie fort als Fotografin und Surrealistin, dann, einer ihrer Höhepunkte, als Kriegsberichterstatterin im Zweiten Weltkrieg und beendete sie in der Küche als Erfinderin surrealistischer Menüs. Sie lebte mehrfach in New York, Paris, London und Kairo und verbrachte die letzten Jahre ihres Lebens im englischen East Sussex, wo ihre Asche über dem Kräutergarten des Farley Farm House ausgestreut wurde, das sie gemeinsam mit ihrem zweiten Ehemann, dem surrealistischen Künstler Roland Penrose, bewohnte und
das heute ein Museum ist. So unruhig und rastlos wie ihr Schaffen waren auch ihre Liaisons. Ihre Beziehung zum Surrealisten und Fotografen Man Ray eröffnete ihr die Magie der Fotografie, war aber nicht von langer Dauer. Ihre erste Ehe mit einem reichen ägyptischen Geschäftsmann hielt nur ein paar Jahre. Der Time-Life-Fotograf David E. Scherman, mit dem sie zusammen als eine der wenigen akkreditierten amerikanischen Militärkorrespondentinnen die Grauen des Krieges fotografisch festhielt, war kurzzeitig ihr Lebensgefährte.

Lee Millers Sohn Antony Penrose stellte nach dem Tod der Mutter fest, dass sie viele Leben gelebt hätte. Einen umfangreichen Überblick über ihre Biografie und ihr Werk bietet die Ausstellung im Bucerius Kunst Forum, deren Begleitkatalog neben exzellenten Fotografien ebensolche Texte enthält. So schreibt etwa die Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen über Lee Millers surrealistischen Blick auf den Krieg. Am Beispiel eines Fotos, das eine zertrümmerte Remington-Schreibmaschine auf einer zersprungenen Steinplatte zeigt und für die verheerenden Auswirkungen der Bombenangriffe auf London steht, macht  Bronfen „eine Prise surrealistischer Ironie“ fest.

Ironie und Surrealismus können als wichtigste Merkmale der Kunst von Lee Miller identifiziert werden. Für die Fotografin, die als Siebenjährige schweren Missbrauch erlebte und später von den Erlebnissen im Krieg traumatisiert war, waren solche Brüche mit der Realität sozusagen eine Überlebensstrategie. mb

Cover für Lee MillerLee Miller. Fotografin zwischen Krieg und Glamour
10. Juni bis 24. September 2023
Bucerius Kunst Forum, Hamburg
Katalog zur Ausstellung
Hrs. von Kathrin Baumstark
240 Seiten, 186 Abbildungen
Hirmer Verlag € 45,-