Künstlerfürst der Renaissance

Raffaels Zeichnungen im Städelmuseum

No. 04/2012

Von Wilfried Rogasch

Von Raffael gibt es etwa 450 als eigenhändig anerkannte Zeichnungen, verteilt auf öffentliche und private Sammlungen in Europa und den Vereinigten Staaten. Das Städel Museum in Frankfurt am Main hütet mit elf Handzeichnungen den größten Bestand in Deutschland. Diesen Glücksfall nahm das Städel jetzt zum Anlass, um erstmals hierzulande etwa 50 Werke von Raff aels Zeichenkunst zu versammeln.

Raffael, Entwurf für die Disputa, um 1508/09, Städel Museum, Graphische Sammlung, Frankfurt am Main

Raffael, Entwurf für die Disputa, um 1508/09, Städel Museum, Graphische Sammlung, Frankfurt am Main

Das Dreigestirn der italienischen Hochrenaissance bilden die genialen Künstler Leonardo da Vinci, Michelangelo Buonarroti und Raffaelo Santi. Während den ersten beiden ein langes Leben beschieden war, starb Raffael, der jüngste unter ihnen, bereits 1520 im Alter von 37 Jahren. Sein Werk ist daher vom Umfang her geringer, nicht jedoch von der Bedeutung für die europäische Kunstgeschichte. Raffael hatte sich ganz dem Ideal der Schönheit verschrieben. Er war überzeugt, dass sich Schönheit in der Natur nur sporadisch und unvollkommen zeigte, allein die Kunst sei in der Lage, vollkommene Schönheit zu erschaffen.

Seine harmonischen, ausgewogenen und heiteren, von der Antike inspirierten Kompositionen erhoben ihn in den Augen fast aller Zeitgenossen zum größten Maler seiner Epoche. Bis weit in das 19. Jahrhundert galt er vielen Kunstkritikern als der größte Maler aller Zeiten. In der Romantik um 1800 orientierte sich eine ganze Kolonie von deutschen Malern in Rom, die „Nazarener“, an Raffael. König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen ließ für den Raff aelsaal seines Orangerieschlosses in Potsdam mehr als 50 seiner Gemälde in Originalgröße kopieren. Die wenigen kritischen Stimmen zu Raffaels Lebzeiten, meist weniger erfolgreiche Künstler, sahen in seiner Kunst zu viel Glätte und Geschmeidigkeit.

Raffael wurde 1483 in Urbino geboren, wo sein Vater am Hofe des kunstsinnigen Herzogs Federico da Montefeltro als Hofmaler wirkte. Nach des Vaters Tod 1494 kam er zu Perugino in Perugia in die Lehre. Hier glich sich sein Stil dem seines Lehrers so vollkommen an, dass Werke von Meister und Schüler kaum zu unterscheiden sind. In einem Vertrag wird Raffael bereits als 17-Jähriger als Meister genannt. Doch strebte er nach mehr: Es zog ihn in das Florenz der Medici und an den päpstlichen Hof nach Rom. In beiden Kunstzentren gab es um 1500 für Talente aus ganz Italien eine Vielzahl an Entfaltungsmöglichkeiten. In Florenz und in Rom lebten die wichtigsten Mäzene, Bauherren und Kunstsammler ihrer Zeit. Sie hatten in der Ausstattung ihrer Kirchen, Paläste und Villen die umfangreichsten, lukrativsten und aus künstlerischer Sicht schwierigsten Aufträge zu vergeben. In Florenz schuf Raffael viele seiner Madonnenbilder für die reichsten Handelsherren der Stadt und setzte sich mit der Kunst Michelangelos und Leonardos auseinander. Ab 1508 hielt sich Raffael dauerhaft am Hofe der auf einander folgenden Päpste Julius II. und Leo X. auf. Er arbeitete an der Ausgestaltung der päpstlichen Wohngemächer, den Stanzen und Loggien, im Vatikan. Als Nachfolger Bramantes wurde er Bauleiter der neuen Peterskirche und Aufseher über die römischen Antiken. Ein weiterer Großauftrag war die Freskenausstattung der Villa Farnesina des Bankiers Agostino Chigi.

Die Vielzahl von Aufträgen konnte Raffael nur durch einen großen Werkstattbetrieb mit zahlreichen Schülern bewältigen. Innerhalb des Arbeitsprozesses kam der Handzeichnung eine zentrale Rolle zu. Sie zeigen das virtuose „Disegno“, den genialen Erstentwurf des Meisters, der stärker als das fertige, in vielen Arbeitsschritten entstandene Gemälde die Grundidee der Komposition zum Ausdruck bringt. Die Handzeichnung galt als Kommunikationsmittel zwischen Meister und Schülern oder auch als erste Präsentation für den meist kunsthistorisch versierten Auftraggeber. Entsprechend brillant sind daher viele Zeichnungen gestaltet. Sie galten schon zu Lebzeiten Raff aels als begehrte Sammelobjekte. Wir wissen, dass Raffael selbst als besonderen Gunsterweis eigene davon verschenkte.

Die Queen als Leihgeberin

Raffael, Maria mit dem Kind, der heiligen Elisabeth (?) und zwei weiteren Heiligen, um 1511/13© Royal Collection Trust / © Her Majesty Queen Elizabeth II 2012

Raffael, Maria mit dem Kind, der heiligen Elisabeth (?) und zwei weiteren Heiligen, um 1511/13© Royal Collection Trust / © Her Majesty Queen Elizabeth II 2012

Im späten 17. Jahrhundert und verstärkt im 18. Jahrhundert besuchten englische Aristokraten auf einer Grand Tour Italien, um sich umfassend zu bilden. Ihr Vermögen erlaubte ihnen, viele Kunstwerke für die heimischen englischen Landsitze zu erwerben, darunter antike Skulpturen, Gemälde und eben auch Meisterzeichnungen. Als die Italiensehnsucht der Deutschen in der Goethezeit erwachte, war der Markt durch die englischen Lords weitgehend abgegrast. Der Erwerb der Sixtinischen Madonna für Dresden durch den sächsischen Kurfürst August III., König von Polen, war eine Ausnahme, nicht die Regel. Um 1800 befand sich ein Großteil von Raffaels beweglicher Kunst auf den britischen Inseln. Der erste Biograf Raffaels und spätere Leiter des Städel, Johann David Passavant, besuchte Großbritannien 1830 und gelangte zu dem Urteil: „Bei der Neigung der Engländer, etwas Besonderes, Kostbares zu besitzen, ist die Liebhaberei an Originalzeichnungen so groß, dass es wohl kein anderes Land gibt, welches eine solche Masse von Handzeichnungen aufzuweisen hat als England.“ Das ist bis heute so geblieben. München, Dresden, Weimar, Berlin, Hamburg, Köln und Düsseldorf besitzen in ihren Graphischen Sammlungen Raffael-Zeichnungen. Warum in Frankfurt nicht eine einzige deutsche Leihgabe zu sehen ist, entzieht sich unserer Kenntnis. Dass aber die Masse der Leihgaben aus England stammt, spiegelt noch immer den Vorsprung der Briten in der Sammeltätigkeit wider. Der britische Konsul in Venedig, Joseph Smith, trug eine wertvolle Kunstsammlung, darunter auch viele Handzeichnungen, zusammen, die er an König George III. und an das British Museum verkaufte. In der altehrwürdigen Universitätsstadt Oxford entschieden eine Gruppe Raffael- Begeisterte, eine Sammlung von Zeichnungen aufzubauen. Viele kamen aus dem Nachlass von Sir Thomas Lawrence, dem Direktor der Royal Academy. Oxford bewahrt heute 90 Zeichnungen von Raffael im Ashmolean Museum, die sich interessierte Besucher vorlegen lassen können. Es ist die größte Raffael-Sammlung der Welt. Die ewige Rivalin Cambridge hat weit weniger Raffael-Zeichnungen in ihrem Fitzwilliam Museum. Neben der Privatsammlung des Herzogs von Devonshire in Chatsworth muss noch die Sammlung der englischen Königin in Windsor Castle genannt werden. Im Kupferstichkabinett, das Teil der Royal Library ist und direkt an die königlichen Privatgemächer grenzt, lässt die Queen gern für hochkarätige Dinnergäste Handzeichnungen von Raffael, Michelangelo, Leonardo oder Holbein aufstellen, die nach dem Abendessen bewundert werden können. Wer nicht damit rechnet, demnächst bei der Queen zu Tisch geladen zu werden, sollte sich die Frankfurter Schau nicht entgehen lassen.

978-3-7774-5401-6_3Dn

Raffael. Zeichnungen 
Städel Museum Frankfurt bis 3. Februar 2013 
Katalogbuch zur Ausstellung Hirmer Verlag € 45,–
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