Karl Schmidt-Rottluff
Sehnsucht nach Vertrautem
No. 04/2015
Die Beschäftigung mit „Selbstbildnissen“ hat immer etwas mit „Selbsterkenntnissen“ zu tun – zu diesem Schluss kamen die Ausstellungsmacher des Museum Wiesbaden und des Berliner Brücke-Museums während ihrer Arbeit mit den Bildnissen Karl Schmidt-Rottluffs. Der Künstler der Gemeinschaft Brücke hatte wie kein anderer seiner Kollegen eine Fülle an Porträts geschaffen – in erster Linie von sich selbst, aber auch von seinem vertrauten Umfeld wie Familie und Freunde, Kunsthistoriker und Mäzene.
Neben Landschaften, Figurenbildern oder Stillleben – die Hauptsujets in Schmitt-Rottluffs Werk – sind es vor allem die Bildnisse, die seine emotionalen Zustände transportierten. Bewegt von van Goghs Farbzonenmalerei und Noldes Far- benstürmen fand er früh zu einer ungestümen Handschrift, die in Gemälden, Aquarellen, Zeichnun- gen, Pastellen oder Druckgrafik das fasste, was er sah und fühlte. In leuchtenden Farben schuf Karl Schmitt-Rottluff über einen Zeitraum von 70 Jahren eine Bandbreite von Selbstbildnissen: oft selbstbewusst und kraftvoll, mit Einglas, Brille oder Zigarre in der Hand bis verspielt die Pinsel schwenkend, bisweilen aber auch melancholisch, in sich gekehrt oder mit geschlossenen Lidern nach innen sehend. Maßgeblich für den Gefühlsausdruck in den verschiedenen Schaffensperioden sind die politischen und privaten Ereignisse, die den Künstler in seinem Tun berührten. So dämpften die Schattenjahre im Ersten Weltkrieg, die Machtergreifung der Nationalsozialisten und die folgenden Repressalien seine Expressivität und bewirkten schließlich die Flucht in die innere Emigration was an den zunehmend farblosen, realitätsnahen und stillen Gesichtern abgelesen werden kann. Weitaus geringeren Umfang in seinem Werk nehmen Porträts anderer Personen ein. Als skeptischer, sensibler und zurückhaltender Mensch, der, wie er selbst ausdrückte, „eine merkwürdige Scheu vor Menschen“ fühlte, malte er lediglich Vertraute, deren Einzelporträts bisweilen auf seine Selbstbildnisse Bezug nehmen. Die Doppelbildnisse teilte er lediglich mit seinem Bruder Karl und seiner Frau Emy, die wichtigste Person in seinem Leben, von der er selbst noch in hohem Alter eine Vielzahl von Porträts anfertigte – ein Fall der in der Kunstgeschichte einmalig ist und in den Museen offenbar wird. af
Karl Schmidt-Rottluff Bild und Selbstbild Bis 17. Januar 2016 Museum Wiesbaden Ab 24. März 2016 Brücke-Museum Berlin
Katalog zur Ausstellung Hrsg. von Magdalena M. Moeller u. Roman Zieglgänsberger Hirmer Verlag € 39,90