Von der Dame Li bis zum Feuervogel

Die magische Welt des Schattentheaters

No. 04/2015

Figur einer jungen Frau, fühes 20. Jahrhundert, Provinz Sichuan, Foto: A. Dreyer © Liecke Museum Stuttgart

Figur einer jungen Frau, fühes 20. Jahrhundert, Provinz Sichuan, Foto: A. Dreyer © Linden-Museum Stuttgart

Eine betörende Ausstellung im Linden-Museum Stuttgart entführt den Besucher auf die faszinierende Bühne des Schattentheaters, von China über Süd- und Südostasien sowie den Orient bis nach Europa, von seinen Anfängen bis in die Gegenwart.

In großer Zuneigung soll der mächtige Kaiser Han Wudi (reg. 141–87 v.Chr.) seiner Konkubine, der Dame Li, verbunden gewesen sein. Als sie jung starb, versank der Kaiser in tiefe Trauer. Er konnte nicht aufhören, an sie zu denken, und so kam es, dass ein fangshi namens Shaoweng, ein Meister okkulter Praktiken, dem Kaiser versprach, den Geist der Verstorbenen heraufzubeschwören. In der Nacht hängte dieser Lampen (dengzhu) auf und spannte Vorhänge. Er brachte Wein und Fleisch als Träger oder Verkäufer, Ägypten, 17.–18. Jh. oder früher Opfer dar und ließ den Unglücklichen hinter einem Vorhang Platz nehmen. In der Ferne erblickte dieser nun eine anmutige Frau, die in ihrer Gestalt der Dame Li glich. Sie kehrte zurück zum Vorhang, setzte sich und ging erneut einige Schritte. Doch als der Kaiser sie nicht mehr sehen konnte, wurde sein Kummer und seine Trauer umso größer.

Diese Geschichte, die aus der Zeit der Han-Dynastie (206 v.Chr.– 220 n.Chr) stammt, lässt vermuten, dass die Wurzeln des Schattentheaters in China liegen. Zweifelsfrei belegt finden sich allerdings erst im 11. Jahrhundert Aufzeichnungen eines chinesischen Gelehrten, der von Schattenfiguren spricht. Auch Indien oder zentralasiatische schamanische Traditionen kommen als Ursprung des Schattentheaters in Betracht. Als gesichert gilt jedoch, dass diese Kunstform in Asien entstanden ist.

Maximum an Beweglichkeit

Geist eines Erhängten mit heraushängender Zunge, China, Provinz Sichuan, frühes 20. Jh. Foto: A. Dreyer, © Linden-Museum Stuttgart

Geist eines Erhängten mit heraushängender Zunge, China, Provinz Sichuan, frühes 20. Jh. Foto: A. Dreyer, © Linden-Museum Stuttgart

Das geheimnisvolle Spiel mit Licht und Schatten fasziniert die Menschen seit Jahrhunderten. In den verschiedenen Kulturen entstanden Spielfiguren von bestechender Ästhetik aus Tierhäuten, Pappe, Holz, Leder, vor allem aber aus bemaltem Pergament, wie z.B. historische Schattenfiguren aus China. Bis zu 16 Figurenteile wurden mit Gelenken verbunden, was zur Folge hat, dass die Beweglichkeit dieser Figuren konkurrenzlos ist. Ein Gelenk zwischen Daumen und Hand ermöglicht sogar die Wiedergabe von stilisierten Handgesten, die in der chinesischen Oper genutzt werden, um emotionale Zustände zum Ausdruck zu bringen. Durch diese Feingliedrigkeit der Figuren haben es die chinesischen Schattenspieler vor allem in Kampfszenen zur Meisterschaft gebracht: Für das furiose Getümmel bewegen sie bis zu fünf Führungsstäbe pro Hand. Neben Gemeinsamkeiten wie Material, Typologie der Figuren und Aufführungsprinzipien gibt es regionale Unterschiede, zu welchen Anlässen Schattentheater den Zuschauern dargeboten wurde und wird. Während in China Elemente der chinesischen Oper aufgenommen wurden und die Darstellung zu einem Gesamterlebnis in künstlerischer Vollendung wird, erzählt das Schattentheater in Indien, Thailand und auf Java große Epen wie das Ramayana und wird häufig im Rahmen von Tempelfesten zur zeremoniellen Handlung. Im Orient war es vor allem ein Spiegel der Gesellschaft und vereinte das Publikum mit viel Sprachwitz und satirischen Anspielungen im gemeinsamen Lachen.

Träger oder Verkäufer, Ägypten, 17.–18. Jh. oder früher, Foto A. Dreyer © Liecke Museum Stuttgart

Träger oder Verkäufer, Ägypten, 17.–18. Jh. oder früher, Foto A. Dreyer © Linden-Museum Stuttgart

Im 17. Jahrhundert brachten Händler die Schattentheater-Tradition über Italien nach Europa, in Deutschland erlebte das Schattenspiel einen Höhepunkt in der Romantik. Die Erfindung des Films um 1900 markiert den Beginn eines schleichenden Bedeutungsverlustes, in den letzten Jahrzehnten ist jedoch in Europa wieder ein zeitgenössisches, internationales Schattentheater entstanden.

Die Ausstellung im Linden-Museum zeigt bislang nicht präsentierte Stücke und wieder entdeckte Schätze überwiegend aus der eigenen Sammlung. Ein Highlight der Schau sind die einzigartigen ägyptischen Figuren der Sammlung Kahle, die ältesten bekannten Schattenspielfiguren der islamischen Welt. Sie inspirierten bereits Franz Marc und Wassily Kandinsky für den Almanach Der Blaue Reiter, in dem neun ägyptische Figuren abgebildet sind. Die Begeisterung für das Schattentheater in Europa, die im ersten Drittel des 20.Jahrhunderts einen letzten Höhepunkt erreichte, und die Weiterentwicklung zum zeitgenössischen Schattentheater sind ebenfalls Themen der Ausstellung. um

Katalog SchattentheaterDie Welt des Schattentheaters Von Asien bis Europa
Bis 10. April 2016 Linden-Museum Stuttgart
Publikation zur Ausstellung 
Hrsg. von Inés de Castro u. Jasmin li Sabai Günther 
Hirmer Verlag € 29,90