„Da hilft uns jetzt nur noch Kunst“

No. 03/2014

Es ist Halbzeit in Augsburg. Seit rund sechs Monaten zeigt die Pinakothek der Moderne in ihrer Zweiggalerie in Augsburg die Ausstellung Jörg Immendorff. Versuch Adler zu werden. Obwohl die Schau noch ein weiteres halbes Jahr präsent sein wird, sollte man keine Zeit verlieren, sie zu besuchen.

„Ich denke, Abschied ist ’ne gute Sache. Keine wehleidige, wehmütige Geschichte, sondern es ist einfach so, dass ich zu den Bildern sage: Leute jetzt macht mal das, wofür ihr da seid. Hauptsache, ihr findet euren richtigen Ort.“ Jörg Immendorffs Fürsorge um den richtigen Ort der Präsentation seiner Kunstwerke – zitiert aus „Abschiede“, eine der sieben wundervollen Geschichten von Tilman Spengler, die er über seinen Freund Jörg Immendorff für den Ausstellungskatalog geschrieben hat – wird in seiner derzeitigen Schau im Glaspalast Augsburg aufs Beste Rechnung getragen. Lichtdurchflutete, großzügige Räume, kluge Hängung und die Architektur des Gebäudes lassen die exzellente Auswahl Immendorffs Werke hervorragend zur Geltung kommen. Seine Bilder in einem Gebäude zu wissen, das Anfang des 20.Jahrhunderts als hochmodern galt und den Wohlstand und Stolz der Textilindustriemetropole Augsburg symbolisierte, jedoch nach dem Niedergang der mechanischen Spinnerei und Weberei als „schwierige Immobilie“ eingestuft wurde – das hätte Immendorff sicherlich gefallen. Als schwierig, provokativ und als Stachel im Fleisch der Gesellschaft wird auch seine Kunst gern bezeichnet. Wie tief der Stachel im eigenen Fleisch steckt, kann man in der umfassenden Ausstellung im Glaspalast in Augsburg erfahren, die mit 50 Werken aus allen Schaffensperioden einen nahezu retrospektiven Überblick gewährt.

Jörg Immendorff studierte Mitte der 1960er Jahre bei Joseph Beuys an der Kunstakademie Düsseldorf. Nach seinen dadaistischen LIDL- Aktionen wurde er von der Akademie verwiesen und unterrichtete rund zehn Jahre Kunst an einer Düsseldorfer Hauptschule. Zwischen 1977 und 1983 entstand der Bildzyklus Café Deutschland, einer der Grundsteine seines damals beginnenden Weltruhms. Heute gehört Immendorff zu den wichtigsten und inspirierendsten Künstlern der jüngsten Vergangenheit.

„,Vor dem Tod habe ich keine Angst, nur vor dem Sterben‘, sagt Immendorff. ,Tapfer geht anders.‘ Er lässt sich einen Tee im Pappbecher mit Strohhalm bringen. ,Der Versuch, Adler zu werden, muss somit vorerst abgebrochen werden.‘“ Jörg Immendorff starb 2007 an einer tückischen Krankheit, die ihm am Ende jegliche Bewegungsfreiheit raubte. Im Glaspalast hat man dennoch den Eindruck, dass er den Versuch, Adler zu werden, nicht wirklich aufgegeben hat; wer weiß schon, was dort nachts geschieht. cs

Jörg Immendorff. Versuch, Adler zu werden. 
Bis 17. Mai 2015 Staatsgalerie Moderne Kunst im Glaspalast Augsburg 
Katalog zur Ausstellung Verlag Walther König € 34,–