Jacobus Vrel

Der rätselhafte Künstler im "Goldenen Zeitalter"

No. 02/2021

Die Kunstgeschichte ist eine erfolgreiche Wissenschaft. Generationen von Kunsthistorikern haben Licht ins Dunkel zahlloser Fragestellungen gebracht: Künstlerbiografien konnten erstellt werden, Kunstwerke wurden ihren Schöpfern zugeschrieben, die Ikonografie erschloss die Symbolik von Bildinhalten und für eine Fülle von Werken wurde der historische Kontext ergründet. Angesichts dieser Erfolgsgeschichte ist es erstaunlich, dass es bedeutende Künstler gibt, die sich trotz intensiver wissenschaftlicher Bearbeitung bislang der Einordnung durch die Kunstwissenschaft weitgehend entziehen, ja, über die nicht einmal die einfachsten Fakten bekannt sind.

Jacobus Vrel, Interieur mit Frau, einem Mädchen die Haare kämmend, und einem Jungen an einer Klöntür, nach 1649 © Detroit Institute of Arts

Zur Gruppe der rätselhaften Künstler gehört der niederländische Maler Jacobus Vrel. Sein Werk entstand im „Goldenen Zeitalter“ der niederländischen Malerei, im 17. Jahrhundert. Diese Epoche war in den Niederlanden ein Jahrhundert hoher Schriftlichkeit. In den Kirchenbüchern wurden Geburten, Hochzeiten und Todesfälle akribisch verzeichnet. Es gibt eine Fülle von Chroniken, Verträgen, Inventaren, Mitgliederverzeichnissen von Künstlergilden und ähnlichen Quellen, die sich in Archiven erhalten haben. Wann und wo also hat der nahezu unbekannte Jacobus Vrel gearbeitet?

Kunsthistoriker waren sich zunächst sicher: Man müsse nur lang genug suchen, dann würde man auf Lebensdaten von Vrel stoßen. Diese Arbeit erwies sich als die sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen: Am Ende konnte weder in den Kunststädten der Provinz Holland, wie Amsterdam, Haarlem, Den Haag oder Delft, noch in anderen Städten der Niederlande ein Jacobus Vrel oder ein Maler in ähnlicher Schreibweise nachgewiesen werden. Das hat dazu geführt, dass einige Forscher meinten, der Gesuchte könnte außerhalb der Niederlande, etwa am Niederrhein oder in Westfalen, tätig gewesen sein. Dem widersprachen allerdings Experten wie Bau- oder Kostümhistoriker, die sich einig waren, dass die in Vrels Bildern dargestellten Bauwerke, Interieurs oder Kleidung niederländische Vorbilder haben. Allerdings gibt es auf seinen Straßenszenen kein einziges Gebäude, das wir heute als Abbild der Realität erkennen. Typisch sind für ihn vielmehr Arme-Leute-Viertel ohne markante Bauwerke.

Die einzige Schriftquelle, in der Vrel erwähnt wird, ist das 1660 erschienene Inventar der Kunstsammlung des Erzherzogs Leopold Wilhelm, die dieser als Statthalter der Spanischen Niederlande in Brüssel zusammengetragen hatte. Hier sind drei Werke eines nicht näher beschriebenen Malers Jacobus Vrel verzeichnet. Auf der Suche nach dem enigmatischen Künstler wurden ihm durch stilistische Vergleiche etwa 50 Gemälde in zahlreichen Museen und Privatsammlungen Europas und den USA zugeordnet.

Wenige sind mit seinem ganzen Namen signiert, viele mit „J. V.“ Dies sind auch die Initialen von Vrels Zeitgenossen Jan Vermeer (van Delft), was neben der Ähnlichkeit der gewählten Sujets dazu führte, dass viele Bilder Vrels in der Vergangenheit lange Vermeer zugeschrieben wurden. Der stilistische Vergleich ergab aber, dass es sich um zwei Maler handelte. Durch die Dendrochronologie, der Altersbestimmung von Holz als Maluntergrund, konnte nachgewiesen werden, dass Vrel nicht Nachahmer von Malern wie Vermeer oder Pieter de Hooch war, sondern vielmehr deren Vorreiter.

Auf den heutigen Betrachter wirken die schmalen Straßen, kargen Innenräume und die in sich gekehrten Figuren, die uns zumeist den Rücken zuwenden, eigentümlich modern, aber auch rätselhaft. Mit 244 Abbildungen auf 256 Seiten und einem kommentierten Werkverzeichnis ist der jetzt erschienene Katalog die souveräne Zwischenbilanz zum Œuvre eines geheimnisvollen Künstlers, welches die Kunstwissenschaft auch in Zukunft beschäftigen wird. wr

Jacobus Vrel
Auf den Spuren eines rätselhaften Malers
Premiumausgabe:
Leinen mit Bildetikett, hochwertiges Bilderdruckpapier
Ausgaben in Deutsch, Englisch, Französich
Hirmer Verlag € 39,90