Ich bin dann mal unterwegs

Das Wandern in der Kunst

No. 02/2018

Caspar David Friedrich, Wanderer über dem Nebelmeer, um 1817, Hamburger Kunsthalle, © SHK / Hamburger Kunsthalle / bpk / Elke Walford

Spricht man heute von Wanderlust, mag der eine an karierte Hemden und Einkehrhütten, der andere an Berg-, Fasten-, Pilger- oder auch Barfußwandern denken, in jedem Fall beschreibt sie eine Freizeitbeschäftigung. Das war nicht immer so. Um 1800 entdeckten vor allem Künstler das Wandern als eine geistige Horizonterweiterung, als Lebensgefühl jenseits gesellschaftlicher Konventionen. Die Ausstellung Wanderlust bietet anhand hochkarätiger Gemälde das Erlebnis einer grandiosen Gipfeltour.

Auguste Renoir, Ansteigender Weg durch hohes Gras, 1876/77, Musée d’Orsay, Paris, © Musée d‘Orsay, Dist. RMN-Grand Palais / Patrice Schmidt

Sie wollten selbstbestimmt die Welt erkunden, dem Naturphilosophen Jean-Jacques Rousseau mit  seinem zivilisationskritischen „Zurück zur Natur!“ folgen, gesellschaftlichen Zwängen entkommen und zu einer eigenen Welterkenntnis gelangen: Anfang des 19. Jahrhunderts wurde für bildende Künstler das Wandern zu einem Ausdruck einer Geisteshaltung mit durchaus gesellschaftspolitischen Implikationen. Auch wenn die Natur nicht mehr als bedrohlich angesehen wurde, sondern als schön und erhaben, gehörte dennoch eine Portion Wagemut, Emanzipation und Freiheitsdrang dazu, sich ins Ungewisse zu begeben – eine Metapher für das Leben, die Maler wie Caspar David Friedrich in großartige Bilder übersetzten. Sein Wanderer über dem Nebelmeer, der Inbegriff der Romantik und eine seltene Leihgabe aus der Hamburger Kunsthalle, ist eines der Highlights der Berliner Ausstellung. In diesem Hauptwerk bringt der Maler die Idee vom Aufsteigen, vom Rasten und der Konfrontation mit dem Unwägbaren als Bild des Lebens genial zum Ausdruck.

Die Schau präsentiert überwiegend Kunstwerke des 19. aber auch des frühen 20. Jahrhunderts. Meist sind es Landschaftsbilder, die das Wandern beziehungsweise Wanderer zeigen. Auch malten sich Künstler häufig selbst oder zusammen mit ihren Malerfreunden in der Natur, wie Gustav  Courbets Bonjour Monsieur Courbet offenbart, eine Ikone der Kunstgeschichte. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts spiegelte sich in den Bildern die aufkommende Emanzipation der Frauen wider: So wandeln hier keine Spaziergängerinnen in Parkanlagen oder auf Promenaden, sondern Frauen, die die Natur erobern, wie etwa in Auguste Renoirs Ansteigender Weg durch hohes Gras.

Um das Phänomen Wanderlust von seinem Ursprung her zu begreifen, ist es überaus lohnenswert,  die Berliner Ausstellung zu besuchen. Rund 100 internationale Spitzenwerke, u.a. von Ernst Barlach, Otto Dix, Paul Gauguin, Ferdinand Hodler, Emil Nolde, Karl Friedrich Schinkel und Moritz von Schwind laden zu einer spektakulären Reise von Deutschland und Frankreich über Norwegen und Russland bis in die USA ein. Der dazu erschienene Katalog erinnert an ein wunderschön gestaltetes Reisetagebuch, anhand dessen man visuell jederzeit an jeden Ort zurückkehren kann. cv

Cover für WanderlustWanderlust
Von Caspar David Friedrich bis Auguste Renoir
Bis 16. September 2018
Alte Nationalgalerie Berlin

Katalog zur Ausstellung
Hirmer Verlag € 39,90