Hugo van der Goes
Innovative Bilderfindungen des 15. Jahrhunderts
No. 01/2023
Im Tagebuch, das er während seiner Reise in die Niederlande 1520/21 führte, erwähnte Albrecht Dürer neben Künstlern seiner Generation auch vier bedeutende Maler des 15. Jahrhunderts, die ihm offenbar vertraut waren: Jan van Eyck, Rogier van der Weyden, Stefan Lochner und Hugo van der Goes (um 1440–1482/83). In Brüssel sah Dürer dessen „gut gemähl“, und in der Sint-Jakobskerk in Brügge bewunderte er „die köstlichen gemähle von Rudiger [Rogier] und Hugo, die sind beede grosz maister gewest“.
Der Schriftsteller Karel van Mander beschrieb in seiner Kunstgeschichte, dem Schilder-Boeck (1604), den Künstler Hugo van der Goes und ordnete sein Werk korrekt in die Zeit um 1480 ein. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts haben sich die historische und die stilkritische Forschung intensiv mit dem Werk des Genter Malers auseinandergesetzt, sodass heute in der Wissenschaft im Wesentlichen Einigkeit besteht, welche Werke von ihm stammen, nicht aber, in welcher Reihenfolge sie entstanden sind.
Das erhaltene Œuvre des Flamen ist vergleichsweise schmal. Nur 13 Werke der Tafelmalerei und zwei Zeichnungen werden ihm heute zugeschrieben. In seiner Größe und Monumentalität übertreffen vier seiner Tafelbilder jedoch fast alles, was im 14. Jahrhundert in den Niederlanden geschaffen wurde. Es sind dies der Monforte-Altar und die Geburt Christi (beide in Berlin), der Portinari-Altar (Florenz) und die Bonkil-Tafeln (Edinburgh). Da diese großformatigen Tafeln aus konservatorischen Gründen nicht reisen dürfen, lag es nahe, eine Hugo-van-der-Goes-Ausstellung in der Berliner Gemäldegalerie zu organisieren, wo sich immerhin zwei der vier Hauptwerke befinden. Den Kuratoren ist es glänzend gelungen, in dieser ersten dem Künstler gewidmeten Schau fast alle seiner Werke sowie einige seiner Nachfolger aus 13 Ländern leihweise nach Berlin zu holen. Hugos ergreifender Marientod (um 1480) ist erstmals außerhalb Belgiens zu sehen.
Im Zentrum der Ausstellung steht der Berliner Monforte-Altar. Diese Anbetung der Könige (um 1470) war der Forschung bis etwa 1890 gänzlich unbekannt, da sie sich in einem abgelegenen Kloster in Galicien befand. Erst nach mehrjährigen Verhandlungen mit der spanischen Regierung gelang es Max J. Friedländer und Wilhelm von Bode, den Altar 1913 für Berlin zu erwerben. Zu einem Preis von knapp einer Million Reichsmark ist er der bis heute teuerste Ankauf in der Geschichte der Gemäldegalerie. Am ursprünglichen Standort hängt nun eine Kopie von 1914.
Schauplatz der Anbetung ist eine Ruine, der Tradition nach der verfallene Palast König Davids. Die drei Herrscher verkörpern drei Lebensalter und die drei damals bekannten Erdteile. Der jüngste König stellt einen Schwarzen dar, eine der ersten Darstellungen dieser Art in der niederländischen Malerei. Zu Recht hat man das Gemälde zum koloristischen Höhepunkt in Hugos Schaffen erklärt. Bewundernswert sind die farblichen Variationen von Rot, Blau, Violett und Grün sowie die naturalistische Wiedergabe verschiedener Materialien wie der kühle Felsbrocken, die golden schimmernden Gaben, die weiche Fellmütze des Königs oder die zarten Pflanzen im Vordergrund rechts. Ursprünglich befand sich über der Tafel ein etwa quadratischer Auszug, der später abgesägt wurde. Das violette und das gelbe Gewand sind Reste von einst hier schwebenden Engeln. Eine um 1490 von unbekannter Hand geschaffene Zeichnung zeigt dem Betrachter, was hier ursprünglich dargestellt war.
Der opulent bebilderte Katalog wurde als Standardwerk zu Hugo van der Goes konzipiert. Daher sind hier auch die beiden in der Ausstellung fehlenden Hauptwerke aus Florenz und Edinburgh mit eigenen Essays und zahlreichen Gesamt- und Detailfotos vertreten. wr
Hugo van der Goes Zwischen Schmerz und Seligkeit 31. März bis 16. Juli 2023 Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie Katalog zur Ausstellung Text: dt. und engl. (getrennte Ausgaben) Hirmer Verlag € 55,–