Gothic Modern
Munch, Beckmann, Kollwitz auf Pilgerreise
No. 02/2025
Nach Stationen in Helsinki und Oslo präsentiert die Albertina jetzt in Wien bedeutende Künstler und Künstlerinnen der beginnenden Moderne um 1900 in einer innovativen Ausstellung mit dem zunächst paradox klingenden Titel Gothic Modern. Paradox deswegen, sind wir doch gewohnt, die Kunst der Moderne als radikalen Bruch mit allen Traditionen der Vergangenheit zu betrachten.

Arnold Böcklin, Selbstbildnis mit fiedelndem Tod, 1872, Alte Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin, Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Andres Kilger
Bislang blieb kaum beachtet, dass sich Kunstschaffende wie Edvard Munch, Max Beckmann und Käthe Kollwitz intensiv mit Malern der Spätgotik auseinandersetzten. In einer rasant sich wandelnden Welt fanden sie Vorbilder, deren Bildthemen und Ausdrucksformen ihrem eigenen Streben nach Wahrhaftigkeit näherkamen als das, was an den Akademien um die Jahrhundertwende gelehrt wurde. Zu den mitteleuropäischen Malern, auf deren Schaffen sie mit Faszination blickten, zählten Albrecht Dürer, Lucas Cranach, Hans Holbein, Hans Baldung Grien und besonders Matthias Grünewald.
Auf der Suche nach dem Ursprünglichen entdeckten die Avantgardisten Sujets und Motive, die um Tod und Trauer, Schmerz und Leid, Glaube und Zweifel, aber auch um Liebe und Sinnlichkeit oder Devotion und Hingabe kreisten. Als Gegenbewegung zur „Entzauberung der Welt“ (Max Weber) durch Wissenschaft und Industrialisierung bot alles Mystische und Geheimnisvolle, wie es die mittelalterliche Kunst darstellte, für sie einen besonderen Reiz. Expressive Holzschnitte von Dürer oder die grelle Farbpalette und die exaltierten Figuren von Grünewald inspirierten Maler von Arnold Böcklin, Ferdinand Hodler bis Paul Klee. Der Besuch des Isenheimer Altars von Grünewald in Colmar wurde damit für sie zur Pilgerreise. Zur Ausstellung bis 11. Januar 2026 erscheint im Hirmer Verlag ein bilderreicher Katalog, der das Thema „Gothic Modern“ umfassend behandelt. wr
Gothic Modern Munch, Beckmann, Kollwitz Bis 11. Januar 2026 Albertina, Wien Katalog zur Ausstellung Deutsch, Englisch, Norwegisch in getrennten Ausgaben Hirmer Verlag € 45,–