Gefährliche Liebschaften

Kunst und Sinnlichkeit im französischen Rokoko

No. 04/2015

Étienne-Maurice Falconet, Die Herzensfreundschaft (L’Amitié au coeur), 1755, The Bowes Museum (© The Bowes Museum, Barnard Castle, Durham)

Étienne-Maurice Falconet, Die Herzensfreundschaft (L’Amitié au coeur), 1755, The Bowes Museum (© The Bowes Museum, Barnard Castle, Durham)

Das Liebieghaus, die Skulpturensammlung der Stadt Frankfurt am Main, widmet sich in einer Sonderausstellung dem Wandel der Gefühle im 18. Jahrhundert, dem Zeitalter des höfischen Rokoko. Seine wichtigsten Impulse gingen von Frankreich aus.

War die Epoche König Ludwigs XIV. geprägt von einer strengen Etikette, die das gesamte Leben des Monarchen permanent öffentlich zur Schau stellte, so sehnten sich unter seinem Nachfolger Ludwig XV. Herrscher und Höflinge nach Privatsphäre, Natürlichkeit und Einfachheit. Nicht nur Dichter und Philosophen betonten diesen Wertewandel. Auch bildende Künstler, Bildhauer, Maler, Grafiker und Kunsthandwerker brachten in ihren Werken die Bedeutung von ungekünstelten Gefühlen zum Ausdruck. Liebe betrachtete man nun als zärtliche und hingebungsvolle Zuneigung zweier Individuen. Nicht mehr antike Götter und Heroen wie im Barockzeitalter verkörperten dieses Ideal, sondern einfache junge Landleute wie Schäfer, Hirten oder Gärtner in idyllischer, natürlicher Umgebung, was zumeist bedeutete: in der freien Natur. Diese neue Auffassung von Liebe wurde zunehmend zum Sinn des Lebens erklärt, und ihre Darstellung gehörte zu den zentralen Themen der französischen Kunst um 1750.

Spielarten der Liebe

Étienne-Maurice Falconet, Der drohende Amor (L’Amour menaçant), Detail, 1757, Rijksmuseum, Amsterdam, © Rijksmuseum, Amsterdam

Étienne-Maurice Falconet, Der drohende Amor (L’Amour menaçant), Detail, 1757, Rijksmuseum, Amsterdam, © Rijksmuseum, Amsterdam

Anhand von etwa 80 sorgsam ausgewählten, exquisiten Leihgaben aus den Kunsttempeln Europas wie dem Pariser Louvre,
dem British Museum in London oder dem Rijksmuseum in Amsterdam, verfolgt die Kuratorin der Ausstellung, Maraike Bückling, die Spielarten dieser empfindsamen Liebe. Im Zentrum der Ausstellung stehen, wie es sich für ein Skulpturenmuseum gehört, die Werke der Bildhauerei, in diesem Falle vor allem die von Jean-Baptiste Pigalle und Étienne-Maurice Falconet. Sie werden ergänzt durch Gemälde, etwa von Jean-Antoine Watteau und François Boucher, sowie durch Grafiken, Möbel und Kostüme. Der erste Raum der Ausstellung ist eingerichtet wie ein Salon in Paris um 1750. Interessant ist, wie sich die einzelnen Kunstgattungen gegenseitig inspirierten, wie sich etwa Motive der Malerei in den Plastiken wiederfinden oder Marmorskulpturen als Vorbild für die so zeittypischen verspielten Porzellanfiguren dienten. Ein seit seiner Entstehung 1757 gefeiertes Hauptwerk der Ausstellung ist der spitzbübisch lächelnde, drohende Amorknabe von Falconet, den Madame de Pompadour, die Mätresse Ludwigs XV., für ihre Residenz, den Pariser Élysée-Palast, heute Sitz des französischen Staatspräsidenten, in Auftrag gab. Nach langer Odyssee hat er im Rijksmuseum eine Heimat gefunden. In der Personifikation der „Herzensfreundschaft“ aus Biskuitporzellan porträtierte Falconet die Pompadour persönlich. Nach dem Ende ihrer Liebesbeziehung zum König repräsentierte die Skulptur anstelle der befristeten Liebe die ewig währende Freundschaft als neues Ideal. wr

9783777424637_3DnGefährliche Liebschaften Die Kunst des französischen Rokoko
Bis 28. März 2016 Liebieghaus, Frankfurt a.M. Katalog zur 
Ausstellung Hrsg. von Mareike Bückling 
Hirmer Verlag € 45,–