Fresko-Kunsträtsel

No. 02/2022

Wer bin ich?

Wer kann von sich schon behaupten, dass das Aufdrehen eines Wasserhahns seine Karriere gerettet hat? Gut, vielleicht ein Bademeister oder ein Feuerwehrmann, ich war jedoch weder das eine noch das andere, ich war ein Künstler. Als ich an einem Sommertag meinem Mitarbeiter einen Wink gab und das Wasser in den Brunnen sprudelte, war der zunächst skeptisch dreinblickende Bauherr über das Gesamtwerk derart entzückt, dass ich aufatmen durfte, meine ins Stottern geratene Erfolgsgeschichte konnte weitergeschrieben werden. Sein Vorgänger war mir deutlich zugewandter gewesen. Über 20 Jahre lang war ich sein Lieblingskünstler, sein Stararchitekt gewesen, der – so würde man es heute ausdrücken – das Firmenimage durch innovative Ideen verbessert und für nachhaltige Kundenbindung gesorgt hatte.

Die Stärke meiner künstlerischen Handschrift war, dass ich die Sinne der Menschen ansprach und sie vor allem zum Staunen brachte, meine Kunstwerke waren wie in Stein gehauene Inszenierungen. In meiner Stadt, in die ich als Siebenjähriger mit meiner Familie gezogen war und die ich zeitlebens so gut wie nie verließ, konnte man kaum eine Straße überqueren, ohne einem Werk von mir zu begegnen: Skulpturen, Paläste, Kapellen, Theater – mein Mentor überhäufte mich mit einer Auftragsflut, die ich in rastloser Arbeit mit meinen Angestellten bewältigte. Meine Qualitäten als Führungskraft waren allerdings mehr als fraglich. Erst spannte ich einem meiner Untergebenen die Frau aus und machte sie zu meiner mehrfach porträtierten Geliebten, und als sie sich dann meinem Bruder zuwandte, beauftragte ich einen Diener … – aber lassen wir das, schließlich wurde ich begnadigt. Dennoch haftete mir der Ruf eines unsauberen Charakters an: Material von Konkurrenten verschwand auf geheimnisvolle Weise, Vorlagen gingen zu Bruch, ehemalige Mitarbeiter wurden verunglimpft. Wer sich mir in den Weg stellte, wurde beiseitegeschoben. Schließlich hatte ich eine ehrgeizige Vision, ich wollte als das Genie meines Jahrhunderts in die Geschichte eingehen. Im Laufe meines langen Lebens arbeitete ich mit insgesamt acht Chefs zusammen, nicht immer im besten Einvernehmen, aber rückblickend kann ich von mir behaupten, dass ich durch das Vertrauen meiner Bauherren wie kein Zweiter das Bild meiner Stadt geprägt habe. Wer bin ich?

Wer bin ich?
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Einsendeschluss am 9. Juli 2022
Auf‌lösung des Kunsträtsels aus Fresko 01/2022:
Margarete Schütte-Lihotzky (1897–2000)