Fresko-Kunsträtsel

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No. 01/2020

Wer bin ich?

Es gab doch tatsächlich Kritiker, die meine Gemälde aus meiner Hauptschaffensphase als „zu kindisch“ oder „allzu feminin“ abtaten. Es amüsierte mich beinahe, dass sie weder meine ausgefeilten und raffinierten Kompositionen erkannten, die sich an berühmten Renaissancegemälden anlehnten, noch meine bildnerischen Bezüge zu zeitgenössischen Künstlern aus Europa sahen. Andere beurteilten meine Bilder als fantastisch, realistisch, spöttisch und sogar „proustisch“, später entdeckten Feministen meine Kunst für sich – verrückte Welt.

Obwohl ich mich immer als Amerikanerin sah, verbrachte ich während der ersten vier Jahrzehnte meines Lebens mehr Zeit in Europa als in den USA. Beide Eltern stammten aus wohlhabenden jüdischen Bankiersfamilien, deren Vorfahren aus Deutschland und Holland nach Nordamerika ausgewandert waren. Nach der Geburt meiner jüngeren Schwester verließ mein Vater die Familie, worauf meine Mutter mit ihren fünf Kindern nach Deutschland zu Verwandten zog. In den Anfangsjahren des 20. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg bereisten wir Deutschland, Frankreich, Italien und pendelten zwischen Europa und den USA. Ich nahm nicht nur in unseren jeweiligen Aufenthaltsorten privaten Zeichen- und Malunterricht und schrieb mich an Kunstakademien ein, sondern mietete mir auch verschieden Ateliers und verbrachte viel Zeit in Museen und Kunstgalerien.

Neben Paris erlebte ich in München eine für meine Kunst prägendsten Zeiten. In der Ainmillerstraße fand ich Arbeitsräume mit wunderbarem Licht, hier entstand u. a. ein Porträt meiner Schwester. Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges, ich war 42 Jahre alt, kehrten wir nach Amerika zurück, Europa sah ich nie wieder. Mit meinen beiden Schwestern unterhielt ich in New York einen Salon, der allgemein als besonders elitär und „gepflegt“ galt. Alle drei unverheiratet, weltläufig und umschwärmt, veranstalteten wir bis zu meinem Tod 1944 regelmäßige Abende in der New Yorker Upper West Side, zu denen wir Künstler, Schriftsteller, Musiker und Tänzer einluden. Zeit meines Lebens stellte ich nur selten meine Werke aus, obwohl es viele Angebote gab. Einer meiner großen Bewunderer, Marcel Duchamp, sorgte dafür, dass bald nach meinem Tod eine Retrospektive im Museum of Modern Art stattfand. Wer bin ich?

Wer bin ich?
Das Kunsträtsel mit Gewinnchancen
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Einsendungen an:fresko1@hirmerverlag.de 
Einsendeschluss am 20. April 2020
Auf‌lösung des Kunsträtsels aus Fresko 04/2019:
Antoni Gaudí (1852–1926)