Bob Dylan

Ansichten eines Songwriters

No. 04/2022

Welche Lieder haben Bob Dylan wohl am meisten beeindruckt? In Philosophie des modernen Songs klärt er uns persönlich auf. Ein Streifzug mit der Musiklegende durch 66 Songs der 1950er bis 80er Jahre.

Little Richard, Jackson Browne, Johnny Cash – gute Liedermacher gibt es wie Sand am Meer, aber wann hat ein Song das Potenzial zum Hit? Und wann zum Evergreen? Bob Dylan trifft in seinem Buch eine persönliche Auswahl an Liedern und durchdringt sie mit seinem Kennerblick. Pro Song vergibt er ein Kapitel, das zunächst die Handlung und das Charakteristische des Stücks vorstellt. Die Hintergrundgeschichte und die Erklärung, warum das Lied funktioniert, folgen dann jeweils im zweiten Teil. „Der Meister“ geht in der Abfolge der Lieder nicht chronologisch vor, sondern serviert sie uns nach seinem Gusto, darunter seinen ältesten Lieblingssong, The Little White Cloud That Cried von Johnnie Ray, der 1951 erschien und zu dem er notiert: „Die Botschaft dieser kleinen Wolke an die Welt lautet, sie muss sich der Liebe verschreiben … Johnnies Platten brauchten keine Krokodilstränen. Johnnie hat alles gegeben. Und wir haben alle geweint.“ Oder CIA Man von den Fugs, veröffentlicht 1967: „Die Fugs haben diesen Song ein paar Mal aufgenommen – live und geschliffen und eigenartig und primitiv. Sie sind gut und treffen den Nagel auf den Kopf.“ Johnny Paychecks Old Violin von 1986 ist Dylans jüngstes Lieblingslied. Auf diesen oftmals belächelten Crooner lässt der Meister allerdings nichts kommen und holt zum Rundschlag aus, der an uns alle gerichtet ist: „Aber viele verwechseln Tradition mit Verkalkung. Wir hören eine alte Platte und stellen sie uns wie in Bernstein konserviert vor, ein Stück Nostalgie, das für unsere eigenen Bedürfnisse existiert, und verschwenden keinen Gedanken an den Schweiß und die Mühe, die Wut und das Blut, das in deren Entstehung floss oder das, was vielleicht daraus geworden ist.“

Bob Dylan wurde als Robert Zimmerman 1941 in Duluth, Minnesota geboren. Er hat 39 Studioalben veröffentlicht und erhielt 2016 den Nobelpreis für Literatur. Neben zahlreichen Lyrikbänden ist Die Philosophie des Modernen Songs sein erstes Sachbuch. Seit Jahrzehnten sind Journalisten und Dylanologen dem vielleicht größten Liedermacher des 20. Jahrhunderts auf der Spur. Alles, was der Meister fallen oder auch nicht fallen lässt, wird auf die Goldwaage gelegt. Die Analysen seiner Lieblingssongs werden sicher neuen Stoff liefern, um Geheimnisse zu lösen oder neue Rätsel zu schaffen. kh

Bob Dylan
Die Philosophie des modernen Songs
Aus dem Amerikanischen von Conny Lösch
Buch: Hardcover,352 Seiten farbig bebildert
€ 35,–
Hörbuchfassung: in Klappkassette, gelesen von Wolfgang Niedecken, € 21,95
Verlag C.H. Beck