Bekenntnisse zu Kunst und Politik
Wassily Kandinskys Briefwechsel
No. 01/2023
Zwei Revolutionen, zwei Weltkriege, das Naziregime, vier Emigrationen, epochale Kunstereignisse und eine Vielzahl persönlicher Begegnungen prägten das Leben von Wassily Kandinsky, das sich entsprechend der Weltpolitik zwischen Russland, Deutschland und Frankreich abspielte. Als prägende Figur der künstlerischen Avantgarde und visionärer Kunsttheoretiker ist sein Name eng verknüpft mit dem Blauen Reiter und dem Bauhaus, dem Expressionismus und der abstrakten Kunst, die in den Museen allgegenwärtig sind. Nicht geläufig waren seine Briefe, die in einer Publikation nun erstmals zugänglich sind. Sie gewähren einen tiefen Einblick in seinen Gedankenaustausch zwischen Alltag und Politik, seine künstlerischen Ambitionen und sein weitverzweigtes, persönliches Netzwerk.
„Im allgemeinen sagen Künstler, auch wenn sie nicht sehr geschickt von Kunst sprechen, lebendige Dinge. Schriftsteller dagegen sprechen von schon kristallisierten Dingen, d.h. sie sehen sie nicht in Bewegung, sondern im Zustand der Ruhe, des ,Todes‘.“ Das schrieb Wassily Kandinsky 1911 an den Kollegen Robert Delaunay. An den Malerfreund Franz Marc berichtet er zwei Jahre später: „Gestern waren wir alle im Vortrag bei Herrn Dr. Julius Meier-Graefe […] Die neue Kunst wäre Geschäftsmacherei, ohne Seele und Geist und man solle sich gegen sie vereinigen. Es war ein bodenloses Geschimpf und überraschte im Mangel der Gedanken, des Verstandes.“
Die Entwicklung der abstrakten Malerei war für Kandinsky mit Widerständen verbunden, obwohl er schon 1904 ahnte, was er 1911 verwirklichen würde: „der Weg liegt ziemlich klar vor mir. Ohne zu übertreiben kann ich behaupten, daß ich, falls ich die Aufgabe löse, neuen, schönen, zur unendlichen Entwicklung geeigneten Weg der Malerei zeige.“ Für ihn galt: „Unverständlich muß manches zuerst wirken. Dann kommt das Schöne zum Vorschein. Und erst dann das Innere. Das Ding muß ,klingen‘, und durch diesen Klang kommt man nach und nach zum Inhalt.“ Und er ist sich sicher: „Die Wellen der Angriffe gegen die abstrakte Kunst sind für mich ein besonders einleuchtender Beweis der inneren Kraft dieser Kunst, ihrer inneren Spannung und der mit ihr verbundenen Konsequenzen für das Leben überhaupt.“ Künstlerische Qualität beweist sich dabei im Methodischen: „Die Malerei ist keine einfache Sache, aber das ganz Knappe, wenn die Mittel wirklich stimmen, verlangt nach einer so großen Konzentration und inneren Spannung, daß das äußerlich Reichere fast leichter erscheint.“
Derart substanzielle Äußerungen zur Kunst stehen bei Kandinsky in einem saftigen Lebenskontext: So heißt es 1905 an seine Lebensgefährtin Gabriele Münter: „Dein von mir gemaltes Porträt ist eine Saumalerei.“ Im selben Jahr berichtet er ihr aus Odessa, wo er 1905 die erste russische Revolution hautnah miterlebt und ein freies demokratisches Russland erhofft: „Ella, gratuliere mir! Es ist geschehen, endlich, endlich. Wir haben die richtige Verfassung u. sind keine Untertanen mehr, sondern Bürger, richtige Bürger mit allen wichtigen Rechten. Nach 25 Jahren der Erwartung erlebe ich jetzt den Tag.“ Und seiner Zeit weit voraus ist er mit seiner Position zu Frauenrechten: „Ella hat keine Aufforderung vom Sonderbund bekommen. Mich machen ja solche Stumpfsinnigkeiten wirklich böse und traurig. Böse, da die Männer sich erlauben, Frauen so blöde zu behandeln“, klagt er 1913 in einem Brief an Marc. Zwar konstatiert Kandinsky 1934: „Ich bin der festen Meinung, dass Künstler sich von jeder Politik fernhalten müssen. Die politischen Fragen werden nur dann gelöst, wenn es keine Politiker mehr gibt.“ Allerdings hindert ihn das nicht, Hitler einen „hysterischen Irren“ zu nennen und sich über die „deutschen Judenplünderungen und unmenschlichen Misshandlungen“ aufzuregen. „Wir dachten natürlich an unsre jüdischen Freunde, die noch im Lande sind.“ Im Jahre 1940 wagt er dann jedoch eine allzu optimistische Prophezeiung: „Alle Schreckensdinge, die die heutigen Menschen erleben, führen letzten Endes zum geistigen Erwachen. Wann aber das letzte Ende kommt, ist mir unbekannt. Vielleicht gegen das Jahr 2000.“ Es kam anders. mk
Kandinsky Das Leben in Briefen 1889–1944 Hg. von Jelena Hahl-Fontaine 355 Seiten, 24 Abbildungen Hirmer Verlag € 29,90