Der Spirit der Straße
Harlem zwischen Glamour und politischer Revolte
No. 02/2022
Die 125ste Straße in New York ist die Lebensader Harlems, Flaniermeile, Epizentrum eines pulsierenden Streetlifes seit über hundert Jahren. Unter dem Titel 125th Street. Photography in Harlem haben die Art Galleries des New Yorker Hunter College jetzt einen außergewöhnlichen Katalog veröffentlicht. Er vereint generationenübergreifend 22 Fotografen, die sich aus unterschiedlichsten Blickwinkeln dem Spirit einer sehr besonderen Straße gewidmet haben.

© Hirmer Verlag
Entlang einer Zeitachse von 70 Jahren lässt der Katalog den Betrachter vorbei an geschichtsträchtigen Orten und den Menschen spazieren, die den nördlich des Central Park gelegenen Teil Manhattans zu dem machten, wofür er berühmt, aber auch berüchtigt ist: ein Bezirk, der seit Beginn des letzten Jahrhunderts traditionell von einer afroamerikanischen Bevölkerung bewohnt wurde und seit der Harlem-Renaissance in den 1920er und 30er Jahren mit seiner reichen Musik- und Clubszene Magnet für Jazz-Liebhaber und Nachtschwärmer aus ganz Manhattan war.
Im Hotel Theresa, das als das Waldorf Astoria von Harlem gehandelt wurde, traf sich die linke PolitProminenz. Fidel Castro ist auf einem Foto von 1960 mit Vertretern des Black People Protest zu sehen. Ebenso Malcom X 1964 bei einer Rede vor dem legendären Mr. Lewis Michaux’s bookstore, dem Buchladen von Lewis H. Michaux, der der afrikanischen Literatur ein erstes nationales Monument setzte. Ein weiteres Wahrzeichen ist das weltberühmte Apollo Theater an der Adresse 253 West 125th Street. Es ist das Mekka des schwarzen Showbusiness, das seit den 1930er Jahren Musikern wie Duke Ellington, Ella Fitzgerald und Billie Holiday erste Auftritte vor großem Publikum ermöglichte und später mit Hilfe des Motown-Plattenlabels den Jackson 5, Diana Ross und James Brown zu Weltruhm verhalf.
Harlem bot der Subkultur Raum, war Schauplatz für politische, anti-rassistische Proteste, aber immer auch sozialer Brennpunkt mit allen damit einhergehenden Problemen. Die Momentaufnahmen der zum Großteil wenig bekannten Fotografen zeigen trotzdem oft eine Leichtigkeit und Lebensfreude, die die Straße stets auch als Bühne für den großen Auftritt begreift – und das über Jahrzehnte und alle politischen Unruhen hinweg. Wer sich für die exakten zeitlichen Zusammenhänge interessiert, dem bietet das Buch eine Zeitleiste, die alle Orte und Ereignisse in eine historische Beziehung zueinander setzt. ck
125th Street Photography in Harlem Hrsg. Maria Antonella Pelizzari, Arden Sherman Text: Englisch 172 Seiten, 136 Abbildungen in Farbe und s/w Premiumausgabe: Klapptafel Hirmer Verlag € 29,90